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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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dar, mit Verbeugungen, Händedrücken. Ehre dem tapferen Mann, der den Mut hatte, sich zu seiner Meinung zu bekennen! Und ein Aufseher trug in seinen Armen das arme, ausgejohlte, herumgestoßene, besudelte Gemälde davon; und so kam es, daß ein Gemälde des Malers von »Im Freien« endlich von der Jury angenommen wurde.
    Gleich am nächsten Tage wurde Claude in zwei Zeilen von Fagerolles davon unterrichtet, daß es diesem gelungen sei, »Das tote Kind« durchzubringen, daß das aber nicht ohne Mühe vonstatten gegangen sei. Trotz der Freude über die Nachricht fühlte Claude, wie sich sein Herz zusammenkrampfte: diese Kürze, etwas Gönnerhaftes, Mitleidiges, das Demütigende des Abenteuers, auf das er sich eingelassen hatte, sprach aus jedem Wort. Einen Augenblick war er über diesen Sieg so unglücklich, daß er sein Werk am liebsten zurückgeholt und versteckt hätte. Dann stumpfte dieses Feingefühl ab, er vergaß sich wieder in seinem Künstlerstolz, so sehr blutete sein menschliches Elend vom langen Warten auf den Erfolg. Ach, gesehen werden, es trotzdem schaffen! Er war zu den äußersten Zugeständnissen bereit, er fing wieder an, die Eröffnung des Salons mit der fiebrigen Ungeduld eines Anfängers herbeizuwünschen, lebte in einer Illusion, die ihm eine Menschenmenge zeigte, eine Flut von wogenden, seinem Gemälde Beifall spendenden Köpfen.
    Allmählich hatte Paris eine Mode aus dem Tag der Vorbesichtigung gemacht, aus diesem Tag, der früher den Malern allein zugestanden wurde, damit noch allerletzte Verschönerungen an ihren Bildern vorgenommen werden konnten. Nun war das ein Vorkosten der Neuheiten, eines jener alljährlich glänzend gefeierten Feste, die die ganze Stadt auf die Beine brachten, die bewirkten, daß alles herbeistürzte und sich im Gedränge der Herde gegenseitig schier erdrückte. Seit einer Woche gehörten die Presse, die Straße, die Öffentlichkeit den Künstlern. Sie hielten Paris in Atem, einzig von ihnen war die Rede, von dem, was sie zum Salon eingereicht hatten, was mit ihnen geschah, von ihren Gebärden, von allem, was ihre Person berührte: eine jener blitzartigen Begeisterungen, deren Gewalt das Pflaster aufreißt, sogar die Scharen der Leute vom Lande, der Muschkoten und der Kindermädchen ergreift, die an den eintrittsfreien Tagen durch die Säle getrieben wurden, bis zu der erschreckenden Zahl von fünfzigtausend Besuchern. An manchen schönen Sonntagen war es ein ganzes Heer, waren es die Nachhutbataillone des einfachen, unwissenden Volkes, die nach der feinen Welt kamen und mit weit aufgerissenen Augen durch diesen großen Bilderladen zogen.
    Zuerst hatte Claude Angst vor diesem berühmten Tag der Vorbesichtigung, war eingeschüchtert von dem Gedränge der vornehmen Welt, von dem man erzählte, und war entschlossen, den Tag der eigentlichen Eröffnung abzuwarten, an dem es demokratischer zuging. Er lehnte sogar Sandoz’ Begleitung ab. Dann brannte ihn ein solches Fieber, daß er schon um acht Uhr jäh aufbrach, und er nahm sich kaum Zeit, ein Stück Brot und Käse runterzuwürgen.
    Christine, die sich nicht mutig genug fühlte, mit ihm zu gehen, gab ihm Ermahnungen, umarmte ihn, gerührt und besorgt.
    »Und vor allem, Liebster, mach dir keinen Kummer, was auch geschehen mag.«
    Claude rang etwas nach Luft, als er den Ehrensalon betrat, und sein Herz klopfte heftig, weil er zu rasch die breite Treppe hinaufgegangen war. Draußen war ein klarer Maihimmel, das unter die Scheiben in der Decke gespannte Leinensegel milderte den Sonnenschein zu einem lebhaften weißen Licht ab; und durch die Nebentüren, die zur Gartengalerie offenstanden, wehte es feucht und kühl herein, so daß man fröstelte. Einen Augenblick holte er Atem in dieser Luft, die bereits stickig wurde und einen unbestimmten Lackgeruch inmitten des diskreten Moschusduftes der Damen bewahrte. Mit raschem Blick überflog er die Bilder an den Wänden, vor ihm ein ungeheures Gemetzel, das von Rot troff, links eine riesenhafte blasse Heiligengestalt, rechts ein Staatsauftrag, die banale Darstellung einer offiziellen Feierlichkeit, dann Porträts, Landschaften, Interieurs, das alles glänzte in grellen Farbtönen im zu neuen Gold der Rahmen. Aber die Furcht, die er bei diesem feierlichen Anlaß vor dem berühmten Publikum hegte, bewirkte, daß er seine Blicke über die nach und nach größer gewordene Menge zurückschweifen ließ. Das Rundsofa, das in der Mitte stand und von dem eine Garbe grüner Pflanzen

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