Das Werk - 14
vollzumachen. Ach, diese dreitausend Bilder, die dicht nebeneinander an die Gesimsleiste des Wandsockels aller Säle der äußeren Galerie und schließlich überall hingestellt, sogar auf dem Parkett in stehenden Lachen ausgebreitet wurden, zwischen denen man an den Rahmen entlanglaufende schmale Pfade aussparte, eine Überschwemmung, ein Überquellen, das immer höher wogte, in das Palais de l’Industrie eindrang, es mit der trüben Woge von alledem überflutete, was die Kunst an Mittelmäßigem und Verrücktem mitschwemmen kann! Und sie hatten nur eine Sitzung, von ein bis sieben Uhr, sechs Stunden verzweifelten Galoppierens quer durch dieses Labyrinth! Zunächst hielten sie sich wacker gegen die Erschöpfung, bewahrten ihren klaren Blick; aber bald knickten ihnen die Beine ein bei diesem Gewaltmarsch, ihre Augen entzündeten sich bei diesen tanzenden Farben; und sie mußten immerzu weiterwandern, immerzu sehen und urteilen, bis sie vor Müdigkeit schwach wurden. Schon um vier Uhr war das eine heillose Flucht, der Zusammenbruch eines geschlagenen Heeres. Ganz außer Atem, schleppten sich einige der Jurymitglieder in weitem Abstand hinterher. Andere, die sich einer nach dem anderen zwischen diesen Rahmen verirrt hatten, folgten den schmalen Pfaden, gaben es auf, hier wieder herauszukommen, liefen im Kreise, ohne die Hoffnung, jemals das Ende zu finden. Wie da gerecht sein, großer Gott! Wie aus diesem Haufen entsetzlicher Sachen wieder etwas herausholen? Auf gut Glück, ohne eine Landschaft recht von einem Porträt zu unterscheiden, ergänzte man die Zahl. Zweihundert, zweihundertvierzig, noch acht, es fehlen noch acht. Das hier? Nein, das andere da! Wie Sie wünschen. Sieben, acht, es ist geschafft! Endlich hatten sie das Ende gefunden, wie an Krücken gingen sie davon, waren gerettet, waren frei!
Zu einem neuen Aufenthalt kam es in einem Saal, wo »Das tote Kind« inmitten anderen Strandgutes auf dem Fußboden lag. Aber dieses Mal scherzte man, ein Spaßmacher tat so, als stolpere er und trete mitten in das Gemälde, andere rannten die schmalen Pfade entlang, als suchten sie den wahren Sinn des Bildes, wobei sie erklärten, auf der Rückseite sei es weitaus besser.
Auch Fagerolles fing an zu ulken:
»Nicht so zaghaft, meine Herren, sehen Sie es sich von allen Seiten an, prüfen Sie, Sie werden für Ihr Geld was davon haben … Um Gottes willen, meine Herren, seien Sie so nett, holen Sie es wieder heraus, tun Sie dieses gute Werk.«
Alle erheiterten sich, als sie ihn so reden hörten, aber sie lehnten es noch gröber ab mit der Grausamkeit ihres Lachens. Nein, nein, niemals!
»Nimmst du es auf deine Gnade und Barmherzigkeit?« schrie die Stimme eines Kumpels.
Es war Brauch, daß die Mitglieder der Jury das Recht zu einer »Gnade und Barmherzigkeit« hatten, jeder von ihnen konnte aus dem Häufen ein Gemälde aussuchen, so scheußlich es auch sein mochte, und es wurde ohne Prüfung sogleich angenommen. Gewöhnlich ließ man diese Zulassung wie ein Almosen den Armen zukommen.
Diese vierzig, die in der letzten Stunde rausgefischt wurden, das waren die Bettler an der Tür, jene, die sich mit leerem Bauch ans untere Ende der Tafel schleichen durften.
»Auf meine Gnade und Barmherzigkeit«, sagte Fagerolles mehrmals voller Verlegenheit. »Es ist bloß so, daß ich auf meine Gnade und Barmherzigkeit schon etwas anderes nehmen will … Ja, Blumen, von einer Dame …«
Hohngelächter unterbrach ihn. War sie hübsch? Bei der Malerei von Frauen waren die Herren stets zu Spott aufgelegt, ohne irgendwelche Ritterlichkeit.
Und er war ratlos, denn die fragliche Dame war ein Schützling von Irma. Er zitterte bei dem Gedanken an den furchtbaren Auftritt, wenn er sein Versprechen nicht hielt. Da verfiel er auf einen Ausweg:
»Na, und Sie, Bongrand? – Sie können es doch gut auf Ihre Gnade und Barmherzigkeit nehmen, dieses drollige kleine tote Kind?«
Wunden Herzens fuchtelte Bongrand, entrüstet über diesen Handel, mit seinen großen Armen herum.
»Ich, ich soll einer echten Malerei diesen Schimpf antun! – Wenn er doch stolzer wäre, Himmelherrgott, wenn er doch nichts in den Salon steckte!«
Da noch immer höhnisch gelacht wurde, faßte Fagerolles, der den Sieg wollte, mit großartiger Miene als sehr tüchtiger Kerl, der keine Angst hatte, sich Unannehmlichkeiten auszusetzen, einen Entschluß:
»Gut, ich nehme es auf meine Gnade und Barmherzigkeit.«
Man rief bravo, man brachte ihm eine scherzhafte Ovation
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