Das Werk - 14
schienen und vor denen den Malern grauste. Auch dort entdeckte er nichts. Verstört, verzweifelt streifte er herum, kam auf die Gartengalerie heraus, suchte weiter unter der Überfülle der nach draußen überquellenden Nummern, die fahl und fröstelnd im grellen Licht hingen; nach weiteren Rennereien durch entfernte Räume geriet er zum drittenmal wieder in den Ehrensalon. Hier erdrückte man sich schier. Das reiche, verehrte, berühmte Paris, alles, was lärmend Aufsehen erregt, Begabung, millionenschwerer Reichtum, Anmut, die Meister der Literatur, des Theaters und der Presse, die Herren der Klubs, der Rennställe und der Börse, die Frauen aller Stände, Huren, Schauspielerinnen, Damen von Welt, die sich gemeinsam hier zur Schau stellten, das alles wogte auf als eine unaufhörlich weiter anschwellende Dünung; und in der Wut über sein vergebliches Suchen wunderte er sich, wie gemein die Gesichter waren, wenn man sie so in Massen sah, wie kraß unterschiedlich die Toiletten, von denen wenige elegante auf viele gewöhnliche kamen, wie sehr es diesen Leute an Würde gebrach, so daß die Angst, in der er einst gezittert hatte, in Verachtung umschlug. Würden diese Leute wiederum sein Bild ausjohlen, falls man es überhaupt herausfand? Zwei kleine blonde Reporter vervollständigten eine Liste von Personen, die sie erwähnen mußten. Ein Kritiker tat so, als mache er sich auf dem Rand seines Kataloges Notizen, ein anderer dozierte inmitten einer Gruppe von Anfängern; noch ein anderer pflanzte sich, die Hände auf dem Rücken, ganz allein für sich hin, verharrte so und überschüttete jedes Werk mit erhabener Gleichgültigkeit. Und was Claude vor allem verblüffte, war dieses Herdengewühl, diese scharenweise Neugier ohne Jugend und Leidenschaft, der schrille Klang der Stimmen, die Erschöpfung auf den Gesichtern, die von einem schlimmen Leiden gezeichnet waren. Schon war der Neid am Werk: der Herr, der mit den Damen geistreich tat; der dort, der ohne ein Wort hinschaute, zuckte schrecklich mit den Schultern und ging dann fort; die beiden, die eine Viertelstunde Ellbogen an Ellbogen stehenblieben, an die Leiste des Wandsockels gelehnt, die Nase dicht über einem kleinen Gemälde, sehr leise flüsternd, scheele Verschwörerblicke wechselnd.
Aber Fagerolles war soeben aufgetaucht; und inmitten der unausgesetzt herzuströmenden Gruppen gab es nur noch ihn, der die Hand ausstreckte, sich überall zugleich zeigte, sich nicht schonte in seiner Doppelrolle als junger Meister und einflußreiches Mitglied der Jury. Mit Lobsprüchen, Dankbezeigungen, Beschwerden überhäuft, hatte er für jeden eine Antwort, ohne etwas von seiner Liebenswürdigkeit einzubüßen. Seit dem Morgen ließ er den Ansturm der kleinen Maler aus dem Kreis seiner Schützlinge über sich ergehen, die der Ansicht waren, daß ihre Bilder sehr schlecht hingen. Das war der übliche Galopp der ersten Stunde, alle suchten sich, rannten, um sich zu sehen, brachen in endlose Beschuldigungen aus, in lautes Toben: es hing zu hoch, das Licht fiel schlecht, die Nachbarschaft tötete die Wirkung, man werde sein Bild abhängen und wieder mitnehmen. Besonders einer ereiferte sich, ein großer Hagerer, verfolgte Fagerolles von Saal zu Saal, der vergebens seine Unschuld beteuerte: er könne nichts dafür, man richte sich nach den Klassifizierungsnummern, die Bilder für jede Wandfläche würden auf dem Fußboden verteilt und dann angehängt, ohne daß man irgend jemand bevorzuge. Und er ging mit seinem Entgegenkommen so weit, daß er versprach, er werde sich beim Umordnen der Säle nach der Verleihung der Medaillen einschalten, ohne daß es ihm gelang, den großen Hageren zu beruhigen, der ihm weiter zusetzte.
Einen Augenblick lang arbeitete sich Claude durch die Menge, um Fagerolles zu fragen, wo man sein Bild hingetan habe. Aber ein Gefühl des Stolzes ließ ihn innehalten, als er Fagerolles so umringt sah. War es nicht töricht und schmerzlich, daß er ständig einen anderen nötig hatte? Übrigens fiel ihm jäh ein, daß er rechts eine ganze Reihe von Sälen übersprungen haben müsse; und tatsächlich hingen dort meilenlang Bilder, die er noch nicht gesehen hatte. Er gelangte schließlich in einen Saal, in dem sich die Menge in Haufen vor einem großen Bild, das den Ehrenplatz in der Mitte einnahm, schier zu Tode drückte. Zuerst konnte er nichts sehen, so ungestüm wogten die Schultern, so fest stand die dicke Mauer von Köpfen, der Wall von Hüten. Man stürzte
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