Das Werk - 14
warf in Höhe der Barrage de la Monnaie117 ein Blutrinnsal ins Wasser. Irgend etwas Riesiges und Unheimliches, eine abtreibende Leiche, ein Lastkahn, der sich von der Verankerung gelöst, schwamm langsam stromab inmitten der Lichtreflexe, war dann und wann flüchtig zu sehen und wurde sogleich wieder vom Dunkel erfaßt. Wo war denn die sieghafte Insel versunken? In die Tiefe dieser in Brand gesetzten Wogen? Er sah immer noch hin, allmählich gefangengenommen vom großen Dahinströmen des Flusses in der Nacht. Er neigte sich über diese breite Schlucht, aus der die Kühle eines Abgrunds wehte und darin das Mysterium dieser Flammen tanzte. Und das große traurige Rauschen der Strömung zog ihn an; zu Tode verzweifelt, vernahm er dessen Rufen.
Dieses Mal versetzte es Christine einen Stich ins Herz, und sie fühlte, daß ihn soeben der furchtbare Gedanke gestreift hatte. Sie streckte ihre bebenden Hände aus, die der Nordwind peitschte.
Aber Claude war ganz aufrecht stehengeblieben, kämpfte an gegen diese Süße des Sterbens; und noch eine Stunde lang rührte er sich nicht, hatte kein Zeitgefühl mehr, hatte die Blicke noch immer dort unten auf die Cité gerichtet, als könnten seine Augen es durch Wunderkraft dort Licht werden lassen und die Insel heraufbeschwören, um sie wieder zu schauen.
Als Claude endlich mit strauchelndem Schritt die Brücke verließ, mußte Christine ihn überholen und rennen, damit sie vor ihm zu Hause war in der Rue Tourlaque.
Kapitel XII
In dieser Nacht kamen sie bei dem scharfen Novemberwind, der durch ihre Stube und das geräumige Atelier wehte, erst gegen drei Uhr ins Bett. Christine, die noch keuchte, weil sie so gerannt war, kroch rasch unter die Decke, damit er nicht merkte, daß sie ihm nachgegangen war; und niedergeschlagen legte Claude seine Kleidungsstücke eines nach dem andern wortlos ab.
In ihrem Ehebett herrschte seit langen Monaten Eiseskälte; nachdem allmählich das, was beider Fleisch verband, zerrissen war, streckten sie sich wie Fremde nebeneinander aus, in freiwilliger Enthaltsamkeit, in theoretisch begründeter Keuschheit, zu der es hatte kommen müssen mit ihm, damit er seine ganze Manneskraft seiner Malerei geben konnte, die Christine in stolzem und stummem Schmerz trotz der Qual ihrer Leidenschaft hingenommen hatte. Aber noch niemals hatte sie vor dieser Nacht zwischen ihnen beiden ein solches Hindernis gefühlt, eine solche Kälte, als vermöchte hinfort nichts mehr sie zu erwärmen und sie wieder einander in die Arme zu legen.
Eine Viertelstunde lang kämpfte sie an gegen den Schlaf, der sie übermannte. Sie war sehr müde, vor Benommenheit wurde sie ganz starr; und sie gab nicht nach, weil es sie beunruhigte, daß er noch wach lag. Um selber ruhig zu schlafen, wartete sie jeden Abend, bis er vor ihr eingeschlafen war.
Aber er hatte die Kerze nicht ausgemacht, er blieb mit offenen Augen liegen und starrte in diese Flamme, die ihn blendete.
Woran dachte er denn? War er mit seinen Gedanken dort unten geblieben in der stockfinsteren Nacht, in diesem feuchten Odem der Quais, gegenüber von Paris, das sternenübersät war wie ein Winterhimmel? Und was für ein Widerstreit, den er in seinem Innern austrug, was für ein Entschluß, den er fassen mußte, verkrampfte so sein Gesicht? Dann überwältigte es sie unwiderstehlich, sie fiel ins Nichts, das sich nach großen Strapazen auftut.
Eine Stunde später weckte sie ein Gefühl der Leere, ein banges Unbehagen und ließ sie jäh zusammenzucken. Sofort hatte sie mit der Hand nach dem bereits kalten Platz neben sich getastet: Claude war nicht mehr da, sie hatte es im Schlaf deutlich gespürt. Und sie war ganz verstört, noch nicht richtig wach, der Kopf war ihr schwer und summte, da gewahrte sie durch die nur angelehnte Tür der Stube einen Lichtstreif, der vom Atelier kam. Sie beruhigte sich, sie dachte, daß er, von Schlaflosigkeit erfaßt, wohl irgendein Buch holen gegangen sei. Da er aber nicht wieder zum Vorschein kam, stand sie schließlich leise auf, um nachzusehen. Aber bei dem, was sie da sah, verlor sie die Fassung, blieb sie wie festgewurzelt barfuß auf dem Fliesenfußboden stehen und war so überrascht, daß sie sich zunächst nicht zu zeigen wagte.
Trotz der scharfen Kälte stand Claude, der in der Eile nur eine Hose und Pantoffeln angezogen hatte, in Hemdsärmeln auf der großen Leiter vor seinem Bild. Seine Palette lag zu seinen Füßen, und mit einer Hand hielt er die Kerze, während er mit der
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