Das Werk - 14
anderen malte. Er hatte weit aufgerissene Augen wie ein Schlafwandler, machte knappe und steife Gebärden, bückte sich alle Augenblicke, um Farbe zu nehmen, richtete sich wieder auf und warf mit den abgehackten Bewegungen eines Automaten einen großen, phantastischen Schatten an die Wand. Und nicht ein Atemzug, nichts anderes in dem riesigen dunklen Raum als ein schreckliches Schweigen.
Erschauernd ahnte Christine: die Besessenheit, die dort unten auf der Pont des SaintsPères verbrachte Stunde hatte ihn keinen Schlaf finden lassen und ihn vor sein Gemälde zurückgeführt, da er vor Verlangen verging, es trotz der Nacht wiederzusehen; vermutlich war er nur auf die Leiter gestiegen, um sich aus der Nähe die Augen vollzutrinken. Als ihn dann irgendein falscher Farbton quälte und dieser Makel ihn so krank machte, daß er nicht mehr auf das Tageslicht warten konnte, hatte er einen Pinsel ergriffen, zunächst nur, um eine einfache Retusche vorzunehmen, wurde dann aber nach und nach von Verbesserung zu Verbesserung gerissen und malte schließlich wie ein von einem Wahn Besessener, die Kerze in der Faust, in dieser blassen Helligkeit, die seine Gebärden so fahrig machte. Seine ohnmächtige Schaffenswut hatte ihn wieder erfaßt, er mühte sich ab, lebte außerhalb der Zeit, außerhalb der Welt, er wollte sofort seinem Werk Leben einblasen.
Ach, was für ein Jammer, und mit welch tränenüberströmten Augen sah Christine ihm zu! Einen Augenblick hatte sie den Gedanken, ihn dieser irren Fron zu überlassen, wie man einem Verrückten das Vergnügen an seinem Wahnsinn läßt. Mit diesem Bild wurde er niemals fertig, das stand nun fest. Je verbissener er drauflosarbeitete, um so größer wurde die Zerfahrenheit, um so dicker trug er die schweren Farbtöne auf, um so schwerfälliger und flüchtiger das Bemühen beim Zeichnen. Sogar die Hintergründe, die Gruppe der Schauerleute vor allem, die früher so kräftig war, wurde schlechter; und verstockt beharrte er dabei, er hatte sich darauf versteift, erst alles andere fertig auszuführen, bevor er die Zentralgestalt, die nackte Frau, neu malte, die immer noch die Angst und die Begierde seiner Arbeitsstunden ausmachte, das schwindelerregende Fleisch, das ihm den Rest geben würde, an dem Tage, an dem er sich noch bemühen würde, sie lebendig zu machen. Seit Monaten tat er keinen Pinselstrich mehr daran; und gerade das beruhigte Christine, stimmte sie duldsam und mitleidig bei all ihrem eifersüchtigen Groll: solange er nicht zu dieser begehrten und gefürchteten Geliebten zurückkehrte, glaubte sie sich weniger betrogen.
Als sie mit ihren auf dem Fliesenfußboden erstarrten Füßen eine Bewegung machte, um wieder ins Bett zurückzukommen, wandte sie sich ihm plötzlich erschüttert wieder zu. Sie hatte zunächst nicht begriffen, nun sah sie endlich. Mit seinem farbentriefenden Pinsel zog er in großen runden Strichen mit toller, liebkosender Gebärde üppige Formen nach; ein starres Lachen lag auf seinen Lippen, und er spürte das brennendheiße Wachs der Kerze nicht, das ihm über die Finger lief, während sich lautlos allein sein Arm im leidenschaftlichen Hin und Her vor der Wand bewegte: ein ungeheures, schwarzes Vermengen, ein wirres Umschlingen von Gliedern in roher Paarung. An der nackten Frau also arbeitete er jetzt.
Da öffnete Christine die Tür und trat heran. Eine nicht zu unterdrückende Empörung, der Zorn einer Ehefrau, der man in ihrer eigenen Wohnung einen Schlag ins Gesicht versetzt, die während ihres Schlafes im Nebenzimmer betrogen wird, trieb sie dazu. Ja, er war wirklich mit der anderen zusammen, er malte ihren Bauch und ihre Schenkel, wie behext von einer irren Vision, und das quälende Mühen um das Wahre stürzte ihn in die Übersteigerung des Unwirklichen; und diese Schenkel wurden zu den goldenen Säulen eines Tabernakels, dieser Bauch wurde zu einem Gestirn, das in reinem Gelb und reinem Rot herrlich und lebensfern erstrahlte. Diese so seltsame nackte Scham, die wie eine Monstranz, daran Geschmeide zu schimmern schien, zu irgendeiner frommen Anbetung hingehalten wurde, brachte sie vollends hoch. Sie hatte zu sehr gelitten, sie wollte diesen Verrat nicht mehr dulden.
Doch aus dem, was sie sagte, sprach zunächst lediglich Verzweiflung und Flehen. Nur die Mutter kanzelte hier ihren Sohn, den großen, verrückten Künstler ab.
»Claude, was machst du denn da? – Claude, hat das denn Sinn und Verstand, auf solche Einfälle zu kommen? Ich bitte
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