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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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in allem so zu sein wie zu einer Schwester; doch die traurige Frau, die in ihrem schwarzen Kleid so schmerzvoll anmutig aussah, schüttelte mit einem blassen Lächeln den Kopf.
    »Aber, aber«, flüsterte ihr Sandoz ins Ohr, nachdem er einen Blick auf Claude geworfen hatte, »Sie dürfen nicht so verzweifelt sein … Er hat viel geredet, er ist heute abend fröhlicher gewesen als sonst. Es steht doch recht gut um ihn.«
    Aber mit einer Stimme, aus der Grauen klang, sagte sie:
    »Nein, nein, sehen Sie sich doch seine Augen an … Wenn er diese Augen bekommt, wird mir himmelangst.. Sie haben getan, was Sie konnten, ich danke Ihnen dafür. Was Sie nicht tun konnten, kann niemand tun. Ach, wie ich darunter leide, daß ich auf nichts mehr rechne, daß ich nichts mehr vermag!« Und laut fragte sie: »Claude, kommst du?«
    Zweimal mußte sie die Frage wiederholen.
    Er hörte sie nicht, er zuckte schließlich zusammen und erhob sich, und als antworte er auf einen fernen Ruf von dort hinten am Horizont, sagte er:
    »Ja, ich komme, ich komme.«
    Als Sandoz und seine Frau endlich wieder allein waren im Salon, wo die Luft stickig war, erhitzt von den Lampen, gleichsam dumpf geworden vom schwermütigen Schweigen nach dem schlimmen Ausbruch der Streitigkeiten, schauten sich beide an, und sie ließen ihre Arme sinken, voll Trauer über ihren verunglückten Abend. Henriette versuchte dennoch, darüber zu lachen, und murmelte:
    »Ich hatte dich ja gewarnt, ich hatte das kommen sehen …«
    Aber wiederum unterbrach er sie mit einer verzweifelten Gebärde. Ach was! Das also war das Ende seiner langen Illusion, dieses Traumes von Ewigkeit, der ihn veranlaßt hatte, sein Glück in ein paar Freundschaften zu sehen, die schon in der Kindheit ausgewählt wurden, damit man sie bis zum höchsten Alter noch hatte. Ach, die bejammernswerte Schar, was für ein endgültiger Bruch, was für eine Bilanz war nach diesem Bankrott des Herzens zu beweinen! Und er wunderte sich über die Freundschaften, die längs seines Lebensweges verstreut lagen, über die großen Zuneigungen, die er unterwegs verloren, über den ständigen Wechsel der anderen, der sich rings um ihn, an dem er keine Veränderung bemerkte, vollzog. Seine armen Donnerstage erfüllten ihn mit Mitleid: so viele Erinnerungen voller Trauer, dieses langsame Hinsterben dessen, was man liebt! Würden seine Frau und er sich abfinden mit einem Leben in der Öde, klösterlich eingesperrt im Haß gegen die Welt? Würden sie die Tür weit öffnen angesichts der Woge von Unbekannten und Gleichgültigen? Nach und nach entstand tief in seinem Kummer eine Gewißheit: im Leben ging alles zu Ende und begann nichts wieder von vorn. Er schien sich darüber klarzuwerden, er sagte mit einem tiefen Seufzer:
    »Du hast recht … Wir werden sie nicht mehr zusammen zum Abendessen einladen, sie fressen sich sonst noch gegenseitig auf.«
    Sobald Claude und Christine auf den Place de la Trinité kamen, ließ er ihren Arm los; und er stammelte, er habe noch einen Gang zu machen, er bat sie, ohne ihn heimzugehen.
    Sie hatte gefühlt, wie er in einem heftigen Schauder erzitterte, sie war verstört vor Verwunderung und Furcht: einen Gang zu machen zu einer solchen Stunde, nach Mitternacht! Um wohin zu gehen, um was zu tun?
    Er wandte ihr den Rücken, er eilte davon; als sie ihn einholte, flehte sie ihn an, gab vor, sie habe Angst, er möge sie nicht allein so spät zum Montmartre hinaufgehen lassen. Diese Erwägung allein schien ihn wieder zur Besinnung zu bringen. Er nahm ihren Arm, sie gingen die Rue Blanche und die Rue Lepic hinauf, endlich waren sie in der Rue Tourlaque. Und nachdem er geläutet hatte, verließ er sie vor ihrer Tür wiederum.
    »Nun bist du zu Hause … Ich mache jetzt noch meinen Gang.« Schon entfloh er mit großen Schritten und fuchtelte dabei herum wie ein Irrer.
    Die Tür war aufgegangen; und Christine machte sie nicht einmal wieder zu, sie stürzte davon, um ihm nachzueilen. In der Rue Lepic holte sie ihn ein, aber aus Furcht, ihn noch mehr hochzubringen, begnügte sie sich von nun an damit, ihn nicht aus dem Auge zu verlieren, und folgte ihm in einem Abstand von etwa dreißig Metern, ohne daß er merkte, daß sie ihm auf den Fersen war. Nach der Rue Lepic ging er die Rue Blanche hinunter, dann bog er in die Rue de la Chausséed’Antin und darauf in die Rue du QuatreSeptembre ein, der er bis zur Rue Richelieu folgte. Als Christine sah, wie er nun in diese Straße einbog, kam eine

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