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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Gagnière in philosophischen Betrachtungen und in lyrischen Ergüssen.
    Mathilde, diese fett gewordene alte Schlampe, strömte ihren zweideutigen Apothekengeruch aus, verdrehte die Augen, verging vor Wonne, von einem unsichtbaren Flügel gekitzelt. Sie hatten einander am letzten Sonntag beim Konzert im Cirque115 gesehen und teilten sich nun gegenseitig in hingehauchten, hochtönenden Sätzen mit, was für einen Genuß sie dabei gehabt hatten.
    »Ach, mein Herr, dieser Meyerbeer, die Struensee Ouvertüre, die Trauermusik, und dann der so hinreißende, so farbige Bauerntanz, und dann das Todesmotiv, das vom hohen C der Celli wiederaufgenommen wird … Ach, mein Herr, die Celli, die Celli …«
    »Und, Madame, Berlioz, die Festarie aus ›Romeo‹ … Und das Klarinettensolo, die geliebten Frauen, dazu die Harfenbegleitung! Ein Entzücken, ein auf schwebendes Weiß … Das Fest erstrahlt, ein richtiger Veronese116, die turbulente Pracht der Hochzeit zu Kana; und der Liebessang setzt wieder ein, oh, wie sanft! Oh, immer höher, immer höher …«
    »Mein Herr, haben Sie in Beethovens cMollSinfonie die Totenglocke gehört, die immer wiederkehrt, die einem ins Herz schlägt? – Ja, ich sehe schon, Sie empfinden so wie ich. Die Musik schafft eine Vereinigung der Seelen … Beethoven, mein Gott, wie traurig es ist und wie gut es ist, ihn zu zweit zu verstehen und dabei schwach zu werden …«
    »Und Schumann, Madame, und Wagner, Madame … Die ›Träumerei‹ von Schumann, nichts als Streichinstrumente, ein leiser, lauer Regen auf Akazienblätter, ein Sonnenstrahl, der sie trocknet, kaum eine Träne im Raum … Wagner, ach, Wagner, die Ouvertüre zum ›Fliegenden Holländer‹, Sie lieben sie, ja? Sagen Sie, daß Sie sie lieben! Mich schmettert das zu Boden. Es gibt nichts mehr, nichts mehr, man stirbt …«
    Ihre Stimmen erloschen, sie schauten einander nicht einmal an, waren Seite an Seite ins Nichts versunken, mit in der Luft ertrunkenen Gesichtern.
    Überrascht fragte sich Sandoz, wo Mathilde wohl diese Ausdrucksweise herhaben mochte. Aus einem Artikel von Jory vielleicht. Übrigens war ihm aufgefallen, daß Frauen sehr gut über Musik plauderten, ohne auch nur eine Note zu kennen. Und er, den die Erbitterung der anderen nur tief betrübte, geriet außer sich bei diesem schmachtenden Getue. Nein, nein, nun langte es! Daß sie sich gegenseitig zerfleischten, mochte noch angehen! Aber was für ein Ende nahm dieser Abend mit diesem alternden Weibsbild, das bei Beethoven und Schumann girrte und einen Kitzel empfand.
    Glücklicherweise stand Gagnière plötzlich auf. Trotz all seiner Verzückung wußte er, wie spät es war, und er hatte gerade noch die Zeit, seinen Nachtzug zu erreichen. Und mit weichem, stummem Händedruck verabschiedete er sich, fuhr er nach Melun zurück, um sich schlafen zu legen.
    »Was für ein Versager!« murmelte Mahoudeau. »Die Musik hat die Malerei umgebracht, nie wird er was zustande bringen.«
    Er selber mußte aufbrechen, und kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, da erklärte Jory:
    »Habt ihr seinen letzten Briefbeschwerer gesehen? Er wird schließlich noch Manschettenknöpfe schnitzen … Das ist auch so einer, der versagt hat!«
    Aber schon war Mathilde aufgestanden, grüßte Christine mit einem kurzen kühlen Nicken, gab sich gegenüber Henriette mit der Vertraulichkeit einer Dame von Welt und nahm ihren Mann mit, der ihr im Vorzimmer beim Anziehen behilflich war, ganz demütig und erschrocken vor den strengen Augen, mit denen sie ihn ansah, weil sie noch mit ihm abzurechnen hatte.
    Da schrie Sandoz hinter ihnen außer sich:
    »Das ist ja das letzte, ausgerechnet der Journalist, der Artikelschmierer, der sich darauf verlegt hat, die Dummheit des Publikums auszubeuten, bezeichnet die andern als Versager! Ach, Mathilde die Rächerin!«
    Es blieben nur noch Christine und Claude. Seit der Salon sich leerte, war Claude, der tief in einem Sessel zusammengesunken war und nicht mehr sprach, wieder in jenen hypnotischen Schlaf versunken, bei dem er ganz steif wurde und mit starren Blicken auf etwas sehr Fernes jenseits der Wände sah. Sein Gesicht war angespannt, eine krampfhafte Aufmerksamkeit drückte es nach vorn: gewiß sah er das Unsichtbare, vernahm er einen Ruf des Schweigens.
    Als Christine nun auch aufstand und sich entschuldigte, daß sie als letzte aufbrachen, ergriff Henriette ihre Hände und sagte immer wieder, wie gern sie sie habe, sie beschwor sie, oft zu kommen, zu ihr

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