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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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das strenge ihn zu sehr an. Um sich ihren Armen zu entwinden, hatte er dann behauptet, er brauche danach drei Tage, um sich zu erholen, sein Hirn sei ganz verwirrt, unfähig, irgend etwas Gutes zu schaffen; und so hatte sich der Bruch allmählich vollzogen, eine Woche bis zur Vollendung eines Bildes, dann einen Monat, um die Inangriffnahme eines anderen nicht zu stören, dann immer weiter hinausgeschobene Termine, ungenutzte Gelegenheiten, die langsame Entwöhnung und am Ende das Vergessen. Im Grunde stieß sie immer wieder auf die Theorie, die er hundertmal vor ihr wiederholt hatte: das Genie mußte keusch sein, es durfte nur mit seinem Werk Verkehr haben.
    »Du stößt mich zurück«, schloß sie heftig, »du weichst in der Nacht vor mir zurück, als ob ich dich anwidere, du gehst fremd. Und um was denn da zu lieben? Ein Nichts, eine Erscheinung, ein bißchen Staub, Farbe auf der Leinwand! – Aber noch was! Sieh dir doch dein Weib da oben an! Sieh doch, was für ein Ungeheuer du in deinem Wahnsinn daraus gemacht hast! Ist ein Weib denn so beschaffen? Haben wir denn goldene Schenkel und Blüten unter dem Bauch? Wach doch auf, mach die Augen auf, komm zurück ins Dasein.«
    Der herrischen Gebärde, mit der sie auf das Bild zeigte, gehorchend, war Claude aufgestanden und schaute hin. Die Kerze, die hoch droben auf dem obersten Tritt der Leiter stehengeblieben war, beleuchtete das Weib wie mit dem Schein einer Altarkerze, während der ganze ungeheuer große Raum in Finsternis getaucht blieb. Er erwachte schließlich aus seinem Traum, und als er einen Schritt zurücktrat und das Weib so von unten sah, war er betroffen. Wer hatte denn soeben dieses Götzenweib einer unbekannten Religion gemalt? Wer hatte es aus Metall, Marmor und Edelstein gemacht und zwischen den kostbaren Säulen der Schenkel, unter der heiligen Wölbung des Bauches die mystische Rose des Geschlechts zum Erblühen gebracht? War er es, der, ohne es zu wissen, der Urheber dieses Symbols unersättlicher Begierde war, dieses unmenschlichen Bildes der Fleischeslust, das aus Gold und Diamant zwischen seinen Fingern entstanden war, in dem vergeblichen Bemühen, Leben daraus zu machen? Und mit offenem Munde stand er da und hatte Angst vor seinem Werk, zitterte vor diesem jähen Sprung ins Jenseits, verstand gut, daß die eigentliche Wirklichkeit für ihn nicht mehr möglich war, nachdem er so lange gerungen, um sie zu bezwingen und sie mit seinen Manneshänden neu zu formen.
    »Du siehst doch! Du siehst doch!« sagte Christine immer wieder in sieghaftem Ton.
    Und ganz leise stammelte er:
    »Oh, was habe ich gemacht? – Ist es uns denn nicht möglich, etwas zu schaffen? Es steht also nicht in unserer Hände Macht, Wesen zu schaffen?«
    Sie fühlte, wie er schwach wurde, sie hielt ihn fest mit beiden Armen.
    »Aber warum denn diese Torheiten? Warum etwas anderes als mich, die ich dich liebe? – Du hast mich als Modell genommen, du hast Nachbildungen von meinem Leib haben wollen. Sag, wozu? Sind diese Nachbildungen denn ebensoviel wert wie ich? Sie sind scheußlich, sie sind steif und kalt wie Leichen … Und ich liebe dich, und ich will dich haben. Alles muß man dir sagen, du verstehst nicht, wenn ich um dich herum bin, wenn ich mich anbiete, dir Modell zu stehen, wenn ich da bin, dich leise berühre, mich von deinem Atem streifen lasse. Das tue ich, weil ich dich liebe, hörst du? Das tue ich, weil ich am Leben bin, ich! Und weil ich dich will …«
    Rasend umschlang sie ihn mit ihren Gliedern, ihren nackten Armen, ihren nackten Beinen. Ihr halb heruntergerissenes Hemd ließ ihren Busen hervorquellen, den sie an seiner Brust schier zerdrückte, den sie in ihn hineinpressen wollte bei diesem letzten Kampf ihrer Leidenschaft. Und sie selber war die Leidenschaft, kannte nun endlich keine Zügel mehr in ihrer Ausschweifung und ihrer Liebesglut, nicht mehr die keusche Zurückhaltung von einst, ließ sich hinreißen, alles zu sagen, alles zu tun, nur um zu siegen. Ihr Gesicht war aufgedunsen, die sanften Augen und die durchsichtige Stirn verschwanden unter den wirren Haarsträhnen, da waren nur noch die vorspringenden Kinnladen, das wilde Kinn, die roten Lippen.
    »Oh, nein, laß mich!« murmelte Claude. »Oh, ich bin zu unglücklich!«
    Mit ihrer glutvollen Stimme redete sie weiter:
    »Du denkst vielleicht, ich bin alt. Ja, du sagtest, daß ich verkomme, und ich habe es selber geglaubt. Ich habe mich während des Modellstehens genau gemustert, um Falten zu

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