Das Werk - 14
Und was sie bisher vermieden hatten, die Verwirrung über ihr Verhältnis, das Erwachen des Mannes und des Weibes in ihrer guten Freundschaft, all das brach schließlich hervor bei der ständigen Anrufung dieser jungfräulichen Nacktheit. Nach und nach entdeckten sie in sich ein geheimes Fieber, von dem sie selber nichts gewußt. Hitzewellen stiegen ihnen in die Wangen, sie erröteten, weil sich ihre Finger gestreift hatten. Hinfort hatte jede Minute gleichsam etwas Aufreizendes, das ihr Blut aufpeitschte, und während dies über ihr ganzes Wesen hereinbrach, steigerte sich die Qual über das, wovon sie schwiegen, ohne es verbergen zu können, so sehr, daß sie daran erstickten, die Brust von schweren Seufzern geschwellt.
Gegen Mitte März traf Christine Claude bei einem ihrer Besuche von Kummer zerschmettert vor seinem Bild sitzend an. Er hatte sie nicht einmal gehört, er verharrte reglos, die Augen leer und verstört auf das unvollendete Werk gerichtet. In drei Tagen war der Termin, bis zu dem es zum Salon eingereicht werden konnte, abgelaufen.
»Nun?« fragte sie ihn sanft, verzweifelt über seine Verzweiflung.
Er zuckte zusammen, er drehte sich um.
»Nun! Es ist aus, ich werde in diesem Jahr nichts ausstellen … Ach, ich hatte so mit diesem Salon gerechnet!« Beide versanken wieder in ihre niedergedrückte Stimmung, in der große, verworrene Dinge sie nicht zur Ruhe kommen ließen.
Dann begann sie wieder, als denke sie laut:
»Noch wäre ja Zeit.«
»Zeit? Ach nein! Ein Wunder müßte geschehen! Wo soll ich denn jetzt noch ein Modell auftreiben? – Seit heute früh strample ich mich ab, und ich habe einen Augenblick geglaubt, ich hätte eine Idee: ja, und zwar dieses Mädchen holen, diese Irma, die damals herkam, als Sie hier waren. Ich weiß, daß sie klein und rundlich ist, daß man vielleicht alles ändern müßte, aber sie ist jung, mit ihr müßte es gehen … Klar, ich werd’s versuchen …« Er unterbrach sich. Die brennenden Augen, mit denen er sie ansah, sprachen deutlich: Ja, wenn Sie doch wollten! Ja, das wäre das erwartete Wunder, der sichere Triumph, wenn Sie mir dieses äußerste Opfer bringen würden! Ich flehe Sie an, ich bitte Sie darum wie eine angebetete Freundin, die schönste, die keuscheste Freundin!
Hochaufgerichtet und ganz weiß stand sie da und vernahm jedes Wort; und diese Augen mit ihrer glühenden Bitte hatten Macht über sie. Ohne Hast legte sie Hut und Pelzmantille ab; dann zog sie sich ganz einfach mit denselben ruhigen Bewegungen weiter aus, hakte ihre Bluse auf, streifte sie ab, ebenso wie das Korsett, ließ die Unterröcke fallen, knöpfte die Träger des Hemdes auf, das über ihre Hüften herabglitt. Sie hatte nicht ein Wort gesprochen, sie schien geistesabwesend zu sein, wie an den Abenden, an denen sie sich, in ihrem Zimmer eingeschlossen und tief in irgendeinen Traum verloren, mechanisch auszog, ohne darauf achtzugeben. Warum also zulassen, daß eine Nebenbuhlerin ihren Leib hergab, wo sie bereits ihr Gesicht gegeben hatte? Sie wollte ganz und gar auf dem Bilde sein, mit all ihrer Zärtlichkeit, denn endlich begriff sie, welch eifersüchtiges Unbehagen ihr dieses ungeheuerliche Zwitterwesen seit langem verursachte. Und immer noch stumm, legte sie sich nackt und jungfräulich auf den Diwan, nahm die gewünschte Pose ein, einen Arm unter dem Kopf, die Augen geschlossen.
Ergriffen, reglos vor Freude, schaute er zu, wie sie sich entkleidete. Er fand sie wieder. Die so viele Male heraufbeschworene flüchtige Vision wurde wieder lebendig. Das war diese noch schmächtige, aber so geschmeidige, so Jungendfrische kindliche Anmut; und er wunderte sich von neuem: wo verbarg sie denn diesen entwickelten Busen, den man unter dem Kleid nicht ahnte? Er sprach nicht mehr, er fing an zu malen in dem andächtigen Schweigen, das eingetreten war. Drei Stunden lang arbeitete er drauflos mit einem so mannhaften Mühen, daß er auf Anhieb einen prachtvollen Entwurf des ganzen Körpers vollendete. Niemals hatte ihn der Schoß des Weibes so berauscht, sein Herz schlug wie angesichts einer anbetungswürdigen Scham. Er näherte sich ihr nicht, er war überrascht über den verklärten Ausdruck des Gesichts, dessen ein wenig massige und sinnliche Kiefer ertränkt wurden in der zarten Befriedigung von Stirn und Wangen.
Drei Stunden hindurch rührte sie sich nicht, atmete sie nicht, überwand sie ihr Schamgefühl und brachte ihm dieses Geschenk dar, ohne zu erschauern, ohne verlegen zu
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