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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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werden. Beide fühlten, wenn sie auch nur einen einzigen Satz sagten, würde eine tiefe Scham über sie kommen. Nur von Zeit zu Zeit schlug sie ihre hellen Augen auf, heftete sie starr auf einen unbestimmten Punkt im Raum, verharrte so eine Weile, ohne daß er in ihnen irgend etwas von ihren Gedanken hätte lesen können, dann schloß sie sie wieder und sank mit dem rätselhaften erstarrten Lächeln ihrer Pose in das Nichts eines schönen Marmorbildes zurück.
    Mit einer Handbewegung gab Claude zu verstehen, daß er fertig sei; und wieder linkisch geworden, riß er einen Stuhl um, als er ihr rasch den Rücken kehren wollte, während Christine hochrot vom Diwan aufstand. Hastig zog sie sich wieder an, fröstelte jäh dabei und war von einer solchen Aufregung erfaßt, daß sie ihre Bluse verkehrt zuhakte, ihre Ärmel herunterzog, ihren Kragen wieder hochstreifte, damit ja kein Stückchen ihrer Haut nackt blieb. Und als sie bereits in ihren Pelzumhang eingemummt war, kehrte er immer noch die Nase der Wand zu und konnte sich nicht entschließen, einen Blick zu wagen. Jedoch dann kam er wieder zu ihr, sie schauten einander zaghaft an, die Kehle zugeschnürt von einer Erregung, die sie noch immer am Sprechen hinderte. War es denn Traurigkeit, eine unendliche, unbewußte und namenlose Traurigkeit? Denn ihre Augenlider schwollen an von Tränen, als hätten sie soeben ihr Dasein verpfuscht, als hätten sie an den Grund des menschlichen Elends gerührt. Da ihm vor Rührung und Herzeleid nichts einfiel, nicht einmal ein Dankeswort, küßte er sie auf die Stirn.
     

Kapitel V
    Am 15. Mai schlief Claude, der erst um drei Uhr morgens von Sandoz nach Hause gekommen war, gegen neun Uhr noch, als Frau Joseph ihm einen großen Strauß weißen Flieder hochbrachte, den ein Bote soeben abgegeben hatte. Er verstand, Christine beglückwünschte ihn im voraus zu dem Erfolg seines Bildes; denn heute war ein großer Tag für ihn, die Eröffnung des Salons der Abgelehnten, der in diesem Jahr erstmalig eingerichtet worden war und auf dem sein Werk ausgestellt werden sollte, das die Jury des amtlichen Salons zurückgewiesen hatte.
    Dieses zärtliche Gedenken, dieser frische, duftende Flieder, der ihn aufweckte, rührte ihn sehr, als sei er ein gutes Zeichen für den ganzen Tag. Im Hemd und barfuß steckte er den Flieder in seinen Wassertopf auf dem Tisch. Mit schlafverquollenen Augen zog er sich mit fahrigen Händen an und schimpfte dabei, weil er so lange geschlafen hatte. Am Abend vorher hatte er Dubuche und Sandoz versprochen, sie beide gleich um acht Uhr bei Sandoz abzuholen, damit sich alle drei zusammen ins Palais de l’Industrie63 begeben konnten, wo man die übrigen aus der Freundesschar treffen würde. Und er hatte sich bereits um eine Stunde verspätet.
    Aber ausgerechnet heute lag nichts griffbereit, denn in seinem Atelier herrschte ein heilloses Durcheinander, seitdem man das große Gemälde fortgeschafft hatte. Fünf Minuten lang suchte er auf den Knien seine Schuhe unter alten Zeichenrahmen. Goldflitter wirbelte auf, denn da er nicht wußte, wo er das Geld für einen Rahmen hernehmen sollte, hatte er von einem Tischler in der Nachbarschaft vier Bretter zusammenfügen lassen, und er hatte sie selber bronziert, zusammen mit seiner Freundin, die sich als eine sehr ungeschickte Bronziererin erwiesen hatte. Endlich war er angezogen, hatte seine Schuhe an, seinen mit gelben Funken bestirnten Filzhut auf und wollte gerade gehen, als ihn ein abergläubischer Gedanke zu den Blumen zurückführte, die mitten auf dem Tisch allein blieben. Wenn er diese Fliederdolden nicht küßte, würde ihm Schimpf und Schande widerfahren. Umfangen von ihrem starken Frühlingsduft, küßte er sie.
    Unter dem Torgewölbe gab er wie üblich seinen Schlüssel der Concierge.
    »Madame Joseph, ich bin tagsüber nicht da.« Claude brauchte keine zwanzig Minuten bis in die Rue d’Enfer zu Sandoz. Aber der, den er nicht mehr anzutreffen fürchtete, hatte sich ebenfalls verspätet, weil es seiner Mutter nicht gut ging. Es war nichts weiter, nur eine schlechte Nacht, die ihn vor Besorgnis ganz durcheinandergebracht hatte. Jetzt war er wieder beruhigt und erzählte Claude, daß Dubuche geschrieben habe, man solle nicht auf ihn warten; er werde sich mit ihnen in der Ausstellung treffen. Beide brachen auf; und da es fast elf Uhr war, entschlossen sie sich, hinten in einem kleinen menschenleeren Milchrestaurant in der Rue SaintHonoré ausgiebig Mittag zu essen; von

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