Das Werk - 14
von dem Bild ab, drehte es wieder gegen die Wand; dann, vierzehn Tage später, machte er sich mit einem anderen Modell wieder daran, mit der langen Judith, was ihn zwang, die Farbtönungen zu ändern. Es wurde alles noch schlimmer, er ließ Zoé zurückkommen, wußte nicht mehr, wohin er gehen sollte, war krank vor Ungewißheit und Bangigkeit. Und das schlimmste war, daß die Zentralgestalt allein ihn so in Wut brachte, denn alles übrige, die Bäume, die beiden kleinen Frauen, der Herr in der Jacke, das alles war fertig, war gediegen, befriedigte ihn vollauf.
Der Februar ging zu Ende, es blieben ihm nur noch ein paar Tage, dann mußte das Bild für den Salon eingereicht werden, das war eine Katastrophe für ihn.
Eines Abends fluchte er in Christines Gegenwart, und der Wutschrei entrang sich ihm:
»Wer, zum Himmeldonnerwetter, pflanzt denn auch den Kopf einer Frau auf den Leib einer andern! – Die Hand müßte ich mir abhauen.«
In seinem Innersten erhob sich nun ein einziger Gedanke: von ihr die Einwilligung zu erhalten, sich ihm für die ganze Gestalt als Modell zur Verfügung zu stellen. Das hatte langsam in ihm gekeimt: zunächst ein einfacher, rasch als unsinnig beiseite geschobener Wunsch, dann eine unaufhörlich immer wieder mit sich selbst geführte stumme Erörterung, endlich das klare, scharfe Verlangen unter der Peitsche der Notwendigkeit. Die Erinnerung an diesen Busen, den er für ein paar Minuten flüchtig geschaut hatte, ließ ihn nicht mehr los. Er sah sie wieder in ihrer Jugendfrische, strahlend, unentbehrlich. Wenn er sie nicht kriegte, konnte er ebensogut auf das Bild verzichten, denn keine andere würde ihn befriedigen. Wenn er sich, auf einen Stuhl gesunken, stundenlang zerfleischte, weil er zu nichts imstande war und nicht mehr wußte, wo er einen Pinselstrich hinsetzen mußte, faßte er heroische Entschlüsse: gleich, wenn sie hereinkam, würde er ihr in so rührenden Worten von seiner Qual erzählen, daß sie vielleicht nachgab. Aber dann kam sie mit ihrem kameradschaftlichen Lächeln, ihrem züchtigen Kleid, das nichts von ihrem Leibe preisgab, und er verlor allen Mut, er wandte die Augen ab, aus Angst, daß sie ihn dabei ertappen könnte, wie er unter ihrer Bluse die geschmeidige Linie ihres Oberkörpers suchte. Man konnte eine solche Gefälligkeit nicht von einer Freundin verlangen, niemals würde er die Kühnheit dazu aufbringen.
Und dennoch, als er sich eines Abends anschickte, sie zurückzubegleiten, und sie, die Arme hoch erhoben, ihren Hut wieder aufsetzte, verharrten sie zwei Sekunden lang Auge in Auge; er zitterte vor den Spitzen ihrer stehenden Brüste, die förmlich den Stoff sprengten; sie war so jäh ernst geworden, war so blaß, daß er fühlte, sie hatte seine Gedanken erraten. Während sie die Quais entlanggingen, sprachen sie kaum: dies blieb zwischen ihnen, während die Sonne an einem Himmel von der Farbe alten Kupfers unterging. Zweimal las er auf dem Grunde ihrer Augen, daß sie wußte, was er unausgesetzt dachte. Seitdem ihm das durch den Sinn ging, begann es tatsächlich gegen ihren Willen auch ihr durch den Sinn zu gehen, weil durch unwillkürliche Anspielungen ihre Aufmerksamkeit geweckt worden war. Zuerst streifte sie dieser Gedanke nur flüchtig, dann mußte sie dabei verharren; aber sie glaubte nicht, sich dagegen wehren zu müssen, denn es schien ihr außerhalb des Bereichs der Möglichkeit zu liegen, eine dieser Phantastereien im Schlaf, deren man sich schämt. Richtige Angst, daß er es wagen könnte, sie darum zu bitten, hatte sie nicht: sie kannte ihn ja jetzt gut, mit einer Ohrfeige würde sie ihn trotz seiner plötzlichen Wutausbrüche zum Schweigen bringen, bevor er noch die ersten Worte gestammelt hätte. Das war einfach verrückt. Niemals, niemals! Tage verstrichen; und zwischen ihnen wuchs die fixe Idee mehr und mehr. Sobald sie zusammen waren, konnten sie nicht mehr umhin, daran zu denken. Sie ließen nichts davon verlauten, aber ihr Schweigen war erfüllt davon; sie wagten keine Handbewegung mehr, sie tauschten kein Lächeln mehr, ohne im Grunde das wiederzufinden, was sie unmöglich laut sagen konnten und wovon sie überströmten. Bald gab es nichts anderes mehr in ihrem Leben voller guter Kameradschaft. Wenn er sie ansah, glaubte sie zu fühlen, wie er sie mit seinem Blick auszog; in den harmlosen Worten schwangen peinliche Bedeutungen mit; jeder Händedruck ging über die Handgelenke hinaus, ließ einen leisen Schauer über den Leib rieseln.
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