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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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er sah, daß sie ihr altes Album aus ihrer Jungmädchenzeit mitbrachte. Sie scherzte darüber und erklärte, wenn sie so hinter ihm sitze, das erwecke wieder so manches in ihr. Ihre Stimme zitterte ein wenig, in Wahrheit empfand sie das Bedürfnis, sich so halb auf seine Arbeit zu verlegen, seit diese Arbeit ihn ihr jeden Tag mehr entzog. Sie zeichnete, wagte sich sogar an zwei oder drei Aquarelle heran, die sie mit der sorgfältigen Hand eines Pensionatsmädchens ausführte. Da sein Lächeln sie entmutigte und sie wohl spürte, daß auf diesem Gebiet keine Gemeinsamkeit zustande kam, ließ sie wieder ab von ihrem Album und nahm ihm das Versprechen ab, daß er ihr Malunterricht erteilen werde, später, wenn er dazu Zeit hätte.
    Übrigens fand sie seine letzten Gemälde sehr hübsch. Nach diesem Jahr des Ausruhens auf dem Lande im freien Licht malte er mit einer neuen Sicht, die gleichsam aufgehellt, von einer singenden Heiterkeit der Töne war. Nie zuvor hatte er dieses Wissen um die Widerspiegelungen, dieses so richtige Gefühl für die Wesen und die Dinge gehabt, die von der matten Helligkeit umspült wurden. Und hinfort hätte sie das unbedingt als gut bezeichnet, war gewonnen von diesem Schwelgen in Farben, wenn er es hätte weiter zu Ende führen wollen und wenn es ihr nicht mitunter die Sprache verschlagen hätte angesichts eines lila Geländes oder eines blauen Baums, die alle ihre fest gegründeten Vorstellungen von Farbgebung über den Haufen warfen. Als sie sich eines Tages ausgerechnet wegen eines azurblau gewaschenen Pappelbaums eine Kritik erlaubte, ließ er sie anhand der Natur selber dieses zarte Erblauen der Blätter feststellen. Das stimmte also doch, der Baum war blau; aber im Grunde ergab sie sich nicht, verdammte sie die Wirklichkeit: es konnte in der Natur keine blauen Bäume geben.
    Sie sprach nur noch ernst von den Studien, die er an den Wänden des Wohnzimmers aufhängte. Die Kunst hielt wieder Einzug in beider Leben, und Christine wurde darüber ganz nachdenklich. Wenn sie ihn mit seiner Tasche, seiner Feldstaffelei und seinem Sonnenschirm fortgehen sah, geschah es mitunter, daß sie sich in einer jähen Anwandlung an seinen Hals hängte.
    »Du liebst mich doch, sag?«
    »Bist du aber dumm! Warum soll ich dich denn nicht lieben?«
    »Dann küß mich so, wie du mich liebst, ganz toll, ganz toll!« Ihn bis zur Landstraße begleitend, fügte sie dann hinzu: »Und arbeite, du weißt, daß ich dich niemals am Arbeiten gehindert habe … Geh, geh, ich freue mich, wenn du arbeitest.«
    Als der Herbst dieses zweiten Jahres die Blätter gelb färbte und wieder die ersten Fröste brachte, schien Claude eine Unruhe zu überkommen. Das Wetter war gerade abscheulich, vierzehn Tage strömender Regen hielten ihn müßig im Hause zurück; dann kam alle Augenblicke Nebel und hinderte ihn bei seinen Studien. Er blieb trübsinnig vor dem Kaminfeuer sitzen, er sprach niemals von Paris, aber dort am Horizont erhob sich die Stadt, die winterliche Stadt mit ihrem Gaslicht, das schon um fünf Uhr aufflammte, ihren Zusammenkünften der Freunde, die sich in ihrem Wetteifer gegenseitig aufpeitschten, ihrem Leben voll glühenden Schaffens, daß sogar das Eis des Dezember nicht verlangsamen konnte. In einem Monat fuhr er dreimal hin, unter dem Vorwand, Malgras aufzusuchen, dem er noch ein paar kleine Gemälde verkauft hatte. Nun vermied er es nicht mehr, am Gasthaus der Faucheurs vorbeizugehen, er ließ sich sogar von Vater Poirette anhalten, nahm ein Glas Weißwein an; und seine Blicke durchwühlten die Gaststube, als suche er trotz der Jahreszeit Kumpel von einst, die vielleicht doch hier am Morgen hereingeschneit waren. Er verweilte sich lange und wartete; verzweifelt vor Einsamkeit, ging er dann nach Hause und erstickte an allem, was in ihm brodelte, war ganz krank, niemand zu haben, dem er das ins Gesicht schreien konnte, was seinen Schädel zum Bersten brachte.
    Der Winter verstrich jedoch, und Claude hatte den Trost, ein paar gute SchneeEffekte zu malen. Ein drittes Jahr begann, da hatte er in den letzten Maitagen eine unerwartete Begegnung, die ihn tief bewegte. Er war an jenem Morgen zur höher gelegenen Fläche hinaufgegangen, um ein Motiv zu suchen, weil er der SeineUfer schließlich müde war; und er war starr vor Staunen, als er an der Biegung eines Weges Dubuche erblickte, der zwischen zwei Holunderhecken auf ihn zukam, mit einem schwarzen Hut auf dem Kopf und in seinen Überzieher gezwängt.
    »Was? Du

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