Das Werk - 14
daß es ganz und gar leer war, und fing an zu weinen: ihr war, als müsse sie sich losreißen, als lasse sie etwas von sich selber hier, ohne daß sie hätte sagen können was. Wie gern wäre sie geblieben! Welch glühendes Verlangen verspürte sie, immer hier zu leben, sie, die soeben noch dieses Wegziehen gefordert hatte, diese Rückkehr in die Stadt der Leidenschaft, in der sie eine Nebenbuhlerin ahnte! Jedoch sie suchte weiter, was ihr fehlte, sie pflückte schließlich vor der Küche eine Rose, eine vom Frost geknickte letzte Rose. Dann schloß sie die Tür zum verödeten Garten.
Kapitel VII
Als Claude sich wieder auf dem Pariser Pflaster befand, wurde er von einem fieberhaften Verlangen nach Lärm und Bewegung ergriffen, von dem Bedürfnis, auszugehen, die Stadt zu durchstreifen, die Kumpels aufzusuchen. Er zog gleich nach dem Aufstehen los, er ließ Christine allein das Atelier einrichten, das sie in der Rue de Douai in der Nähe des Boulevard de Clichy gemietet hatten. So kam es denn, daß er am zweiten Tag nach seiner Rückkehr um acht Uhr früh an einem grauen, eisigen Novembermorgen, der eben erst heraufzog, bei Mahoudeau hineinplatzte.
Dennoch stand der Laden in der Rue du Cherche Midi, den der Bildhauer immer noch innehatte, schon auf; und Mahoudeau, der ganz weiß im Gesicht war und nicht richtig ausgeschlafen hatte, nahm fröstelnd die Fensterläden ab.
»Ach, du bist’s! – Verflixt! Du bist auf dem Lande wohl Frühaufsteher geworden … Ist es geschafft? Bist du zurück?«
»Ja, seit vorgestern.«
»Gut, da werden wir uns nun wohl wieder öfter sehen … Komm doch rein, heute früh fängt es an, in die Finger zu zwicken.«
Aber Claude fror im Laden mehr als auf der Straße. Er behielt den Kragen seines Überziehers hochgeschlagen, er steckte die Hände tief in die Taschen, ihn überlief es eiskalt angesichts der von den kahlen Wänden rieselnden Nässe, des Drecks der Lehmhaufen und der ewigen Wasserlachen, die den Fußboden durchtränkten. Der Elendswind hatte hier geweht, hatte die Bretter mit den uralten Gipsabgüssen leer gefegt, hatte die mit Stricken zusammengeflickten Modelliersockel und Zuber zerbrochen. Das war ein Winkel, in dem Wirrwarr und Liederlichkeit herrschten, der Keller eines Maurers, der Pleite gemacht hatte. Und auf der mit Kreide beschmierten Glasscheibe in der Tür war wie zum Spott mit ein paar Daumenstrichen eine große strahlende Sonne gezeichnet und in dar Mitte mit einem Gesicht verziert worden, dessen halbkreisförmiger Mund schallend lachte.
»Warte mal«, fing Mahoudeau wieder an. »Wir machen gleich Feuer. Diese verdammten Ateliers, die kühlen bei den pitschnassen Tüchern sofort wieder aus.«
Als Claude sich dann umdrehte, erblickte er Chaîne, der am Ofen kniete und den Rest des Strohgeflechts aus einem alten Hocker riß, um die Kohle in Brand zu setzen. Er sagte ihm guten Tag; aber er konnte ihm nur ein dumpfes Grunzen entlocken und ihn nicht dazu bewegen, den Kopf zu heben.
»Was machst du denn jetzt, Alter?« fragte er den Bildhauer.
»Oh, nichts Gescheites, das kannst du mir glauben! Ein erbärmliches Jahr, schlimmer noch als das vorige, das auch schon nichts wert war! – Du weißt ja, die Heiligenstatuetten machen eine Absatzkrise durch. Ja, die Heiligkeit steht nicht mehr hoch im Kurs; und na ja, ich habe mir den Gürtel enger schnallen müssen … Da! Inzwischen bin ich so weit heruntergekommen.« Er nahm die Tücher von einer Büste und wies auf ein längliches Gesicht, das durch den Backenbart noch länger wirkte und vor lauter Einbildung und grenzenloser Dummheit ungeheuerlich aussah. »Das ist ein Anwalt von nebenan … Na? Er ist doch abstoßend genug, dieser Kauz da! Und er fällt mir auf die Nerven, weil er wünscht, ich soll auf seinen Mund viel Sorgfalt verwenden! – Aber man muß ja schließlich leben, nicht wahr?«
Er hatte eine Idee für den Salon, eine stehende Gestalt, eine Badende, die ihren Fuß prüfend ins Wasser steckt und bei der Berührung mit der Kühle jenes Erschauern ahnen ließ, das die Haut des Weibes so anbetungswürdig macht; und er zeigte einen schon wieder rissig gewordenen Entwurf davon Claude, der ihn schweigend betrachtete und überrascht und verstimmt war über die Zugeständnisse, die ihm daran auffielen: ein Hinwenden zum Niedlichen bei immer noch vorherrschendem Übertreiben der Formen, eine natürliche Lust zu gefallen, ohne jedoch allzusehr die Vorliebe für das Kolossale aufzugeben. Allein, er war
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