Das Werk - 14
mehr, wo sie ihn anfassen sollte, um ihn ein wenig zu säubern; und wenn sie sah, daß er gut aß und gut schlief, machte sie sich weiter keine Gedanken darum, sie hob sich ihre besorgte Zärtlichkeit für ihr anderes, großes Kind auf, für den Künstler, ihren lieben Mann, dessen düstere Stimmungen sie mit Angst erfüllten. Mit jedem Tag wurde es schlimmer, sie mochten noch so friedlich leben und keinen Grund zu irgendwelchem Kummer haben, sie glitten deshalb doch in eine Traurigkeit ab, in ein Unbehagen, das sich in einer ständigen Gereiztheit äußerte.
Und nun war es vorbei mit den anfänglichen Freuden des Landlebens. Ihr morsches, leckes Boot war untergegangen und lag auf dem Grunde der Seine. Übrigens kamen sie nicht einmal auf den Gedanken, den Kahn zu benutzen, den Faucheurs ihnen zur Verfügung stellten. Der Fluß langweilte sie, sie waren zum Rudern zu träge geworden, sie sprachen immer wieder mit denselben begeisterten Ausrufen wie einst von gewissen köstlichen Winkeln auf den Inseln, ohne sich jemals versucht zu fühlen, wieder dorthin zu rudern. Sogar die Spaziergänge längs der Uferböschungen hatten ihren Zauber eingebüßt, im Sommer wurde man dabei gebraten, und im Winter holte man sich dabei eine Erkältung; und was die höher gelegene Fläche betraf, diese weiten, mit Apfelbäumen bestandenen Äcker, die das Dorf beherrschten, so wurden sie gleichsam ein fernes Land, etwas, was zu entlegen war, als daß man die Torheit begehen könnte, sich zu Fuß dahin zu wagen. Über ihr Haus ärgerten sie sich auch, über diese Kaserne, wo man im Schmalzgeruch der Küche essen mußte, wo die Winde aus allen vier Himmelsrichtungen in ihr Zimmer hereinpfiffen. Um das Pech vollzumachen, war die Aprikosenernte in diesem Jahr mißraten, und die schönsten der uralten riesigen Rosenstöcke waren, von einer Räude befallen, eingegangen. Ach, was für ein trübseliger Verschleiß durch die Gewohnheit! Wie schien doch die ewige Natur zu altern, weil sie derselben Horizonte müde und überdrüssig war! Aber das schlimmste war, daß dem Maler die Gegend verleidet wurde, weil er nicht ein Motiv mehr fand, das ihn entflammte, wenn er mit mißmutigem Schritt die Fluren durchstreifte, als seien sie ein hinfort leeres Gelände, dem er das Leben ausgepumpt hatte, so daß nichts mehr darin zurückgelassen war, das ihn interessiert hätte, kein unbekannter Baum, kein unverhoffter Lichteinfall. Nein, alles war aus, alles war zu Eis erstarrt, er würde nichts Gutes mehr machen in dieser elenden Gegend!
Der Oktober kam mit seinem in Wasser ertrunkenen Himmel. An einem der ersten Regenabende brauste Claude auf, weil das Essen nicht fertig war. Er schmiß diese Gans, die Melie, raus, er ohrfeigte Jacques, der sich zwischen seinen Beinen herumsielte.
Da küßte ihn Christine weinend und sagte:
»Laß uns doch fortgehen, oh, laß uns nach Paris zurückgehen!«
Er machte sich los, er schrie mit zorniger Stimme:
»Wieder diese Geschichte! – Niemals, verstehst du!«
»Tu es doch mir zuliebe«, fuhr sie sanft fort. »Ich bitte dich darum, mir würdest du damit eine Freude machen.«
»Du langweilst dich also hier?«
»Ja, ich sterbe vor Langeweile, wenn wir hierbleiben … Und dann möchte ich, daß du arbeitest, ich spüre durchaus, daß dein Platz dort in Paris ist. Es wäre ein Verbrechen, dich noch länger hier zu begraben.«
»Nein, laß mich!«
Er bebte, Paris rief ihn am Horizont, das winterliche Paris, das von neuem seine Lichter entzündete. Er vernahm darin die große Anstrengung der Kumpel, er würde dahin zurückkehren, damit man nicht ohne ihn Triumphe feiere; damit er wieder ihr Oberhaupt werde, da nicht einer die Kraft und den Stolz hatte, es zu sein. Und in diesem Wahn, in dem Verlangen, dorthin zu laufen, weigerte er sich starrköpfig, dorthin zu ziehen, aus einem unwillkürlichen Widersprechen heraus, das aus seinem Innersten aufstieg, ohne daß er es sich selber zu erklären vermochte. War das die Angst, bei der selbst die Tapfersten zittern, der dumpfe Streit zwischen dem Glück und der Unausweichlichkeit des Schicksals?
»Hör zu«, sagte Christine heftig, »ich packe die Koffer, und ich nehme dich einfach mit.«
Fünf Tage später fuhren sie ab nach Paris, nachdem sie alles verpackt und alles bei der Eisenbahn aufgegeben hatten.
Claude war mit dem kleinen Jacques bereits auf der Landstraße, als Christine sich einbildete, sie habe etwas vergessen. Sie ging allein in das Haus zurück, sie sah,
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