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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wobei sie immer abwechselnd eine Pastille nahmen.
    Und obwohl Claude nun Bescheid wußte, war er von neuem verdutzt, als er sah, wie Mahoudeau die Kohle ergriff und an die Wand schrieb: »Gib mir den Tabak, den du in deine Tasche gesteckt hast.«
    Wortlos zog Chaîne das Tütchen heraus und hielt es dem Bildhauer hin, der sich dann die Pfeife stopfte.
    »Also, auf bald!«
    »Ja, auf bald … Auf jeden Fall nächsten Donnerstag bei Sandoz.«
    Draußen stieß Claude zu seiner Verwunderung auf einen Herrn, der sich vor dem Kräuterladen aufgepflanzt hatte und sehr damit beschäftigt war, zwischen den befleckten und staubigen Bandagen im Schaufenster hindurchzusehen und mit seinem Blick das Innere des Ladens zu durchwühlen.
    »Sieh mal einer an, Jory! Was machst du denn da?«
    Jorys große rote Nase zuckte erschrocken.
    »Ich? – Nichts! – Ich komme nur gerade vorbei, ich schaue mal rein …« Er entschloß sich aber dann doch zu lachen; als ob man ihn hätte hören können, senkte er die Stimme, um zu fragen: »Sie ist bei den Kumpels nebenan, nicht wahr? – Gut, ziehen wir schnell Leine. Dann eben ein andermal.«
    Und er nahm den Maler mit, er erzählte ihm greuliche Dinge. Jetzt hatte die ganze Schar mit Mathilde Verkehr; einer hatte es dem anderen weitergesagt, jeder zog hier vorbei, wenn er dran war, sogar mehrere gleichzeitig, falls man das spaßiger fand; und es spielten sich richtige Greuel ab, tolle Sachen, die er Claude ins Ohr flüsterte, wobei er ihn mitten im Gedränge der Menge auf dem Bürgersteig anhielt. Na, es ging dabei zu wie im alten Rom! Konnte er sich das ausmalen, was da alles geschah hinter den Wällen aus Bandagen und Klistierpumpen, unter den Kräuterteeblüten, die von der Decke herabregneten! Ein dufter Laden, ein Lotterleben für Pfarrer, mit dem Giftgestank einer anrüchigen Parfümhändlerin, die sich hier gleichsam in der andachtsvollen Stille einer Kapelle niedergelassen hatte.
    »Aber«, sagte Claude lachend, »du hast doch immer erklärt, daß diese Frau gräßlich ist.«
    Jory zuckte unbekümmert die Achseln.
    »Oh, bei dem, was man mit ihr anstellt! – So komme ich zum Beispiel heute früh vom Gare de l’Ouest, wo ich jemanden zum Zug gebracht habe. Und als ich durch diese Straße gehe, kommt mir der Gedanke, die Gelegenheit doch auszunutzen … Du verstehst, man bemüht sich nicht extra deswegen her.« Er gab diese Erläuterungen mit verlegener Miene. Dann plötzlich entriß ihm, der immerzu log, der Freimut seines Lasters folgenden Aufschrei der Wahrheit: »Und verflixt! Übrigens finde ich sie ungewöhnlich, falls du es wissen willst … Nicht schön, das ist möglich, aber behexend! Kurzum eine von jenen Frauen, die man angeblich nicht mit der Pinzette anfassen möchte und für die man Dummheiten zum Verrecken begeht.« Da erst wunderte er sich, Claude in Paris zu sehen, und als er wieder auf dem laufenden war und wußte, daß sich Claude wieder hier eingerichtet hatte, fuhr er auf einmal fort: »Hör mal! Ich nehme dich mit, du kommst mit mir zu Irma zum Mittagessen.«
    Der Maler, der schüchtern geworden war, lehnte heftig ab, schützte vor, daß er nicht einmal einen Gehrock anhabe.
    »Was macht das denn schon aus? Im Gegenteil, das ist komischer, sie wird entzückt sein … Ich glaube, sie hat ein Auge auf dich geworfen, sie erzählt uns immerzu von dir … Na, komm schon, stell dich nicht dumm, ich sage dir doch, daß sie mich heute früh erwartet und daß sie uns fürstlich empfangen wird.«
    Er ließ seinen Arm nicht mehr los, plaudernd gingen beide weiter in Richtung MadeleineKirche. An und für sich schwieg er sonst über seine Liebesabenteuer, so wie die Trinker über den Wein schweigen. Aber an diesem Morgen sprudelte er nur so los, scherzte er über sich selber, gab allerlei Geschichten zu. Seit langem hatte er mit der Tingeltangelsängerin gebrochen, die er aus seinem Heimatstädtchen mitgebracht hatte und die ihm mit den Fingernägeln die Haut vom Gesicht riß. Und nun gab es das ganze Jahr hindurch einen rasenden Galopp von Frauen, die durch sein Dasein zogen; Frauen, die zu den Überspanntesten gehörten; Frauen, von denen man das nie erwartet hätte: die Köchin eines bürgerlichen Hauses, in dem er zu Mittag aß; die angetraute Gattin eines Polizisten, dessen Dienststunden er abpassen mußte; die junge Angestellte eines Zahnarztes, die sechzig Francs im Monat damit verdiente, daß sie sich vor jedem Patienten, um ihm Vertrauen einzuflößen, einschläfern

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