Das Werk - 14
angefertigt hatte, einen Mantegna72, der trocken und außerordentlich genau wiedergegeben war.
»Der Tölpel!« murmelte er. »Das haut fast hin. Das ist das Beste, was er je gemacht hat … Vielleicht hat er nur den Fehler begangen, vier Jahrhunderte zu spät zur Welt zu kommen.« Da es dann warm wurde, legte er seinen Überzieher ab und fügte hinzu: »Das dauert aber recht lange, wenn er seinen Tabak holt.«
»Ach, seinen Tabak, den kenne ich«, sagte Mahoudeau, der sich an seiner Büste zu schaffen machte und den Backenbart sorgfältig ausarbeitete. »Da, hinter dieser Wand, da sitzt sein Tabak … Wenn er sieht, daß ich zu tun habe, zieht er ab, rüber zu Mathilde, weil er denkt, mir so von dem mir zustehenden Anteil was zu stehlen … Ein Idiot, das kannst du mir glauben!«
»Das geht also immer noch so weiter, die Liebeleien mit ihr?«
»Ja, eine Gewohnheit! Sie oder eine andere! Und dann kommt sie immer wieder von selber … Ach, großer Gott, sie gibt mir noch mehr als genug davon!«
Übrigens sprach er ohne Zorn von Mathilde und sagte lediglich, daß sie wohl krank sein müsse. Seit dem Tode des kleinen Jabouille war sie wieder in Frömmelei verfallen, was sie nicht hinderte, im Viertel Ärgernis zu erregen. Trotz der paar frommen Damen, die weiter bei ihr heikle und intime Artikel kauften, um ihrer Schamhaftigkeit die erste Verlegenheit zu ersparen, sie anderswo zu verlangen, stand es sehr schlecht um den Kräuterladen, schien der Konkurs nahe bevorzustehen. Da ihr die Gasgesellschaft wegen Zahlungsrückstand den Zähler gesperrt hatte, war sie eines Abends gekommen, um bei ihren Nachbarn Olivenöl zu borgen, das übrigens in den Lampen nicht brennen wollte. Sie bezahlte niemanden mehr, es kam mit ihr so weit, daß sie, um die Ausgaben für einen Arbeiter zu vermeiden, Chaîne die Instandsetzung der Irrigatoren und der Klistierspritzen anvertraute, die die frommen Frauen ihr brachten, sorgfältig in Zeitungen verborgen. Im Weinausschank gegenüber wurde sogar behauptet, daß sie an Klöster Kanülen weiterverkaufte, die schon benutzt worden waren. Kurzum, das war ein völliger Bankrott; der mit Mysterien erfüllte Laden mit seinen flüchtigen Schatten von Soutanen, seinem diskreten Beichtstuhlgeflüster, seinem erkalteten Sakristeienweihrauch, mit allem, was man dort an kleinen Aufmerksamkeiten aufwühlte, von denen man nicht laut reden konnte, glitt in eine gänzliche Vernachlässigung, wie sie dem Untergang vorausgeht. Und das Elend war so groß, daß die getrockneten Kräuter an der Decke von Spinnen wimmelten und schon grün gewordene verendete Blutegel oben im Wasser in den Gläsern schwammen.
»Sieh mal! Da ist er ja«, fuhr der Bildhauer fort. »Du wirst sehen, wie sie gleich hinter ihm ankommt.«
Tatsächlich kam Chaîne nach Hause. Er zog mit gesuchter Umständlichkeit ein Tütchen Tabak hervor, stopfte seine Pfeife, fing an, vor dem Ofen in doppelt lautlosem Schweigen zu rauchen, als sei niemand da.
Und sofort erschien auch Mathilde, die als Nachbarin nur mal guten Tag sagen kam. Claude fand, sie sei noch magerer geworden, das Gesicht mit den flammenden Augen und dem durch den Verlust von zwei weiteren Zähnen breiter gewordenen Mund, war unter der Haut blutfleckig. Die Gerüche nach würzigen Pflanzen, die sie immer noch in ihren ungekämmten Haaren herumschleppte, schienen ranzig zu werden; das war nicht mehr die Süße der Kamillen, die Frische des Anis; und sie erfüllte den Raum mit jenem scharfen Pfefferminzgeruch, der ihr Atem zu sein schien, aber sauer geworden, gleichsam verdorben vom wundgescheuerten Schoß, der ihn aushauchte.
»Schon bei der Arbeit!« rief sie. »Guten Tag, Kleiner.« Ohne sich um Claude zu scheren, küßte sie Mahoudeau. Dann drückte sie Claude die Hand mit jener Schamlosigkeit, mit jener Art, den Bauch vorzuschieben, mit der sie sich allen Männern anbot. Und sie fuhr fort: »Wißt ihr was, ich habe eine Schachtel Hustenpastillen wiedergefunden, und wir werden sie zum Mittagessen verspachteln … Na, das ist doch nett, wir teilen!«
»Danke«, sagte der Bildhauer. »Davon bekomme ich nur einen schleimigen Mund, ich rauche lieber eine Pfeife.« Und da er sah, daß Claude wieder seinen Überzieher anzog, fragte er: »Du gehst?«
»Ja, ich habe es eilig, mir die Füße zu vertreten, ein bißchen Pariser Luft zu atmen.«
Jedoch verweilte er noch einige Minuten und schaute Chaîne und Mathilde zu, die sich mit den Hustenpastillen den Bauch vollschlugen,
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