Das Werk - 14
nach dem anderen, ohne es zu merken. Zwei Stunden waren sie nun schon da, ein Rausch stieg auf inmitten des Tabakrauchs, jener Wahnvorstellungen hervorrufende Rausch der Liköre.
Man plauderte von etwas anderem, es war die Rede von den hohen Preisen, die die Malerei zu erzielen begann.
Irma, die nicht mehr redete, behielt einen ausgegangenen Zigarrettenstummel zwischen den Lippen und hatte die Augen starr auf den Maler gerichtet. Und sie fragte ihn unvermittelt und duzte ihn dabei wie in einem Traum:
»Wo hast du denn deine Frau her?«
Das schien ihn nicht zu überraschen, seine Gedanken ließen sich treiben.
»Sie kam aus der Provinz, sie war bei einer Dame in Stellung und todsicher unberührt.«
»Hübsch?«
»Aber ja, hübsch.«
Einen Augenblick verfiel Irma wieder in ihren Traum; dann sagte sie mit einem Lächeln:
»Verflixt! Was für ein Glück! Es gab keine mehr, da hat man für dich also eine gemacht!« Aber sie schüttelte sich, sie schrie und stand vom Tisch auf: »Gleich drei Uhr … Ach, Kinder, ich schmeiß euch raus. Ja, ich habe eine Verabredung mit einem Architekten, ich will ein Baugelände in der Nähe des Parc Monceau besichtigen, wißt ihr, in dem neuen Viertel, das jetzt gebaut wird. Ich habe da in der Gegend ein tolles Ding gewittert.«
Sie waren wieder in den Salon zurückgegangen; Irma blieb vor einem Spiegel stehen und war verärgert, daß sie so rot aussah.
»Das ist wegen dieser Villa, nicht wahr?« fragte Jory. »Du hast also Geld aufgetrieben?«
Sie strich ihre Haare wieder in die Stirn, sie schien mit der Hand das Blut aus ihren Wangen wegzuwischen, ließ das Oval ihres Gesichts wieder länger werden, brachte ihren fahlroten Kurtisanenkopf wieder in Ordnung, gab ihm den überlegten Liebreiz eines Kunstwerks; und sich umwendend, warf sie ihm statt jeder Antwort hin:
»Schau! Da ist er wieder, mein Tizian!«
Während sie noch lachten, schob sie die beiden zur Diele, wo sie wieder, ohne zu sprechen, Claudes beide Hände ergriff und ihm von neuem mit ihrem verlangenden Blick tief in die Augen sah.
Auf der Straße empfand er ein Unbehagen. Die kalte Luft ernüchterte ihn, Gewissensbisse quälten ihn nun, daß er zu dieser Dirne von Christine gesprochen hatte. Er schwor sich, niemals wieder seinen Fuß in ihre Wohnung zu setzen.
»Na, nicht wahr, ein gutmütiges Ding«, sagte Jory und steckte sich eine Zigarre an, die er noch bei Irma aus der Schachtel genommen hatte, bevor sie aufbrachen. »Du weißt ja übrigens, das verpflichtet zu nichts; man geht zu ihr zum Frühstück, zum Mittagessen, zum Schlafen; und sonst guten Tag, guten Abend, jeder geht wieder seinen Angelegenheiten nach.«
Aber eine Art Scham hinderte Claude, sofort nach Hause zu gehen, und als sein Gefährte, der, von dem Essen angeregt, Lust zum Bummeln bekommen hatte, davon sprach, hinaufzugehen und Bongrand die Hand zu drücken, war er entzückt über diesen Einfall; beide gingen zum Boulevard de Clichy.
Bongrand hatte dort seit zwanzig Jahren ein geräumiges Atelier, in dem er nichts dem Tagesgeschmack geopfert hatte, diesem Prunken mit Wandbehängen und Nippsachen, mit denen sich die jungen Maler zu umgeben begannen. Das war das nackte und graue Atelier von früher, einzig mit den Studien des Meisters geschmückt, die ohne Rahmen, dicht zusammengedrängt, wie Votivtafeln in einer Kapelle angehängt waren. Der einzige Luxus bestand in einem Empirespiegel, einem geräumigen Schrank aus der Normandie, zwei Sesseln mit Utrechter Samt, der vom Draufsitzen abgewetzt war. In einer Ecke bedeckte ein Bärenfell, dem alle Haare ausgegangen waren, einen breiten Diwan. Aber der Künstler hatte aus seiner romantischen Jugend die Gewohnheit beibehalten, eine besondere Arbeitskleidung zu tragen, und in einer Pluderhose, in einem Gewand, das von einem Strick zusammengehalten wurde, den Schädel mit einem Priesterkäppchen bedeckt, so empfing er die Besucher.
Er öffnete selber, seine Palette und seine Pinsel in der Hand.
»Da sind Sie ja! Ach, eine gute Idee! – Ich habe an Sie gedacht, mein Lieber. Ja, ich weiß nicht mehr, wer mir Ihre Rückkehr mitgeteilt hat, und ich dachte mir schon, daß ich Sie bald zu sehen bekommen würde.« Seine Hand hatte er in einer Anwandlung lebhafter Zuneigung zunächst Claude hingestreckt. Dann drückte er Jory die Hand und fügte hinzu: »Und Sie, junger Kunstpapst, ich habe Ihren letzten Artikel gelesen, ich danke Ihnen für die freundliche Bemerkung, die Sie darin über mich gefunden
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