Das Werk der Teufelin
Ich werde sie begleiten.«
Rigmundis, die sich zwar von dem Wespenstich, aber noch nicht ganz von dem verstauchten Fuß erholt hatte, übergab Almut erleichtert den schweren Korb mit der Leinenwäsche und nahm selbst nur ein Bündel Seidenstoffe. Ein fester Eschenstock diente ihr als Stütze für das schwache Fußgelenk, und so sah sich Almut gezwungen, ebenfalls viel langsamer zu gehen, als sie es üblicherweise gewohnt war. Als sie die Dombaustelle erreicht hatten, war sie aber sogar dankbar dafür, denn ein wenig schwach fühlte sie sich immer noch, und der Korb hing wie ein Bleigewicht an ihrem Arm.
»Du bist ein bisschen blass, Almut. Deine Sommersprossen sind ganz deutlich zu sehen. Wollen wir einen Moment in den Dom gehen und uns ausruhen?«
»Ach, es geht schon«, meinte sie, aber dann musste sie nach ein paar weiteren Schritten doch den Korb abstellen und sich auf einen der mächtigen, behauenen Steinblöcke setzen, die vom Rhein hochgekarrt worden waren. Ein untersetzter, staubbedeckter Arbeiter kam eilig auf sie zu und deutete auf den Kran, an dessen Seilen die sacht nach oben schwebenden Lasten hingen.
»Hier könnt Ihr nicht sitzen bleiben, werte Frauen. Das ist zu gefährlich. Wenn einer der Steine herunterfällt, seid Ihr verloren!«
»Schon gut, Steinmetz, wir müssen nur ein kleines Weilchen verschnaufen.«
»Nein, nein, auch kein Weilchen. Erst gestern ist eine Last abgestürzt und hat einen unserer Gesellen beinahe erschlagen.«
Almut erhob sich mit einem Schnaufen und musste sich gleich wieder hinsetzen, denn es war ihr schlichtweg schwarz vor Augen geworden. Höchst misstrauisch beäugte sie der Steinmetz.
»Sie ist sehr krank gewesen und noch nicht besonders kräftig!«, erklärte Rigmundis. »Lasst uns nur einen kleinen Moment hier sitzen.«
»Das geht nicht! Wenn sie zu schwach ist, dann soll sie im Haus bleiben. Macht, dass Ihr fortkommt!«
Diese unhöfliche Aufforderung weckte Almuts Energien, und sie funkelte den Mann an, der sich bullig und breitbeinig vor ihr aufgebaut hatte, ohne ihr auch nur die Hand zur Hilfe auszustrecken.
»Ich werde mit Meister Michael über Euch sprechen, Steinmetz. Ich sehe, er kommt gerade durch das Portal.«
Sie hob die Hand und winkte. Der Dombaumeister erkannte die graue Tracht und kam mit einem Lächeln auf dem tief gebräunten Gesicht auf sie zu. Er war ein grauhaariger, sehniger Mann in den besten Jahren und kannte die Baumeisterstochter Almut seit ihrer Geburt. Der Steinmetz machte zwei vorsichtige Schritte rückwärts, war aber nicht bereit, von seiner Forderung abzugehen.
»Frau Almut, was führt Euch her?«
»Nur ein kleiner Anfall von Schwäche, Meister Michael. Aber Euer Mann hier will uns den Platz nicht gönnen.«
»Nun, da hat er jedes Recht zu, Frau Almut. Ihr seht ja, hier werden die Blöcke für den Turm hochgezogen. Kommt mit in die Hütte, dort könnt Ihr ausruhen und eine Erfrischung zu Euch nehmen.« Zu dem Steinmetz gewandt, ordnete er an: »Hol den Hannes, er soll uns eine Kanne Bier bringen!«
Mit einem mühelosen Schwung nahm er den schweren Korb auf und reichte Almut den Arm, auf den sie sich stützen konnte. Er führte die beiden Frauen zur Bauhütte, ein solides Steinhaus, das sich an die Außenwand des Doms schmiegte. Hier hing, aufgerollt an der Wand, ein riesiges Pergament, beinahe vier Armspannen lang, das die Zeichnung zweier gewaltiger Türme zeigte. Angesichts dieser kunstvoll ausgeführten und äußerst verblüffenden Darstellung waren Almuts Lebensgeister plötzlich wieder restlos geweckt.
»Allerheiligste Mutter Maria, Meister Michael! So soll dereinst die Kathedrale aussehen? Diese zwei Türme, die müssen ja wirklich beinahe in den Himmel reichen.«
»Nun, nicht ganz, aber die Wolken werden sie schon am Bauch kitzeln.« Amüsiert beobachtete Meister Michael Almuts Begeisterung. »Ich werde das gewiss nicht mehr erleben. Seht, den Südturm haben wir jetzt etwa bis hierhin errichtet.«
Er wies auf eine recht bescheidene Linie im unteren Bereich hin, dort, wo sich die ersten Säulen über dem Portal erhoben.
»Habt Ihr diese Zeichnung gefertigt, Meister Michael?«
»Aber nein, nein. Die hat vor vielen Jahren der Meister Arnold erstellt. Ein wahres Genie, wenn Ihr mich fragt, Frau Almut. Und Ihr habt Glück, sie zu sehen. Diese Zeichnung holen wir selten aus der Truhe. Nicht jeder bekommt sie zu Gesicht.«
Rigmundis hatte schweigend daneben gestanden und völlig fasziniert die gewaltige Zeichnung
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