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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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nur der Knabe, und sie gab die Suche nach ihm niemals auf.
    In der Matavai-Bucht indessen fand sie keine Spur und keinerlei Hinweis auf den Knaben. Sie suchte ihn im Gesicht eines jeden Mannes, der in die Siedlung kam, im Gesicht eines jeden Fischers, der am Strand tätig war. Als Reverend Welles ihr erzählte, Ambrose habe einen Tahitianer in die Geheimnisse der Pflege der Vanillepflanze eingeweiht – kleine Knaben, kleine Finger, kleine Stöckchen –, da dachte Alma: Das muss er sein! Doch als sie auf die Plantage fuhr, um sich selbst zu überzeugen, da war es keineswegs der Knabe, sondern ein stämmiger, älterer Mann, der auf einem Auge schielte. Alma unternahm diverse Ausflüge zur Vanilleplantage, begegnete jedoch niemandem, der auch nur im Entferntesten an den Knaben erinnerte. Alle paar Tage gab sie vor, zum Botanisieren aufzubrechen, machte sich aber in Wahrheit auf in die Hauptstadt Papeete, auf dem Rücken eines Ponys, das sie sich auf der Plantage geborgt hatte, um den langen Weg zu verkürzen. Den ganzen Tag, bis in den späten Abend, streifte sie durch die Straßen und sah jedem Passanten ins Gesicht. Das Pony folgte ihr – eine magere Tropenversion von Soames, dem alten Gefährten ihrer Kindheit. Sie suchte den Knaben am Hafen, vor den Bordellen, in den Herbergen, wo die eleganten französischen Kolonialherren abstiegen, in der neuen katholischen Kathedrale, auf dem Markt. Manchmal entdeckte sie vor sich einen großen, gut gebauten Eingeborenen mit kurzem Haar, lief ihm nach und tippte ihm auf die Schulter, bereit, ihm jede denkbare Frage zu stellen, damit er sich nur zu ihr umdrehte. Bei jeder Begegnung war sie überzeugt: Das wird er sein.
    Er war es nie.
    Sie wusste, bald würde sie ihn andernorts auf der Insel suchen müssen, doch wie sollte sie das anfangen? Die Insel maß fünfunddreißig Meilen in der Länge und zwölf Meilen in der Breite. In der Form ähnelte sie einer schiefen Acht. Weite Teile ließen sich nur unter großen Schwierigkeiten oder gar nicht überqueren. Sobald man die schattige sandige Straße verließ, die sich an großen Teilen der Küste entlangschlängelte, wurde Tahiti zu einer erschreckend beschwerlichen Welt. Yamsplantagen zogen sich in Terrassen die Hänge hinauf, daneben Kokoshaine und wellige Flächen kurzen, struppigen Grases, doch dann, ganz unvermittelt, war da nichts mehr als hohe Felswände und undurchdringlicher Urwald. Im Hochland, erfuhr Alma, lebten in der Hauptsache Felsbewohner, die geradezu sagenumwoben waren und über außergewöhnliche Klettertalente verfügten. Sie waren keine Fischer, sondern Jäger. Manche von ihnen hatten nie einen Fuß ins Meer gesetzt. Die felsbewohnenden Tahitianer und die Tahitianer an der Küste hatten einander stets argwöhnisch beäugt, und es gab gewisse Grenzen, die keine der beiden Parteien übertreten durfte. Vielleicht gehörte der Knabe ja zu den felsbewohnenden Stämmen? Aber die Zeichnungen zeigten ihn doch am Meer, mit einem Fischernetz. Alma konnte es nicht ergründen.
    Natürlich war es auch denkbar, dass der Knabe ein Seemann gewesen war – ein Matrose auf einem durchreisenden Walfänger. Falls dem so war, dann würde sie ihn niemals finden. Er konnte inzwischen überall sein.
    Sie musste weitersuchen.
    In der Missionssiedlung zumindest stieß sie nicht auf neue Erkenntnisse. Es fiel nicht eine anzügliche Bemerkung über Ambrose – nicht einmal beim Bad im Fluss, wo die Frauen so hemmungslos tratschten. Niemand machte auch nur eine Nebenbemerkung über den schmerzlich vermissten und vielbeklagten Mr Pike. Alma war sogar so weit gegangen, Reverend Welles zu fragen: »Hatte Mr Pike bei seinem Aufenthalt hier vielleicht einen speziellen Freund? Jemanden, der ihm näherstand als andere?«
    Doch er hatte sie nur mit seinem offenen Blick gemustert und geantwortet: »Mr Pike war bei uns allen beliebt.«
    Das war an dem Tag gewesen, als sie Ambroses Grab besuchten. Alma hatte Reverend Welles gebeten, sie hinzuführen, damit sie dem verstorbenen Angestellten ihres Vaters die letzte Ehre erweisen könne. An einem kalten, bewölkten Nachmittag wanderten sie gemeinsam zum Berg Tahara, auf dessen Gipfel sich ein kleiner englischer Friedhof befand. Alma fand in Reverend Welles einen äußerst angenehmen Wandergefährten, der rasch und sicher jegliches Gelände überquerte und unterwegs alle möglichen faszinierenden Fakten zum Besten gab.
    »In meiner Anfangszeit hier«, erzählte er, während sie den steilen Hang

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