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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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waren auch der Grund, warum Henry Dick Yancey hatte, diesen furchteinflößenden, schweigsamen, kahlköpfigen Hünen aus Yorkshire mit seinen eiskalten Augen, der für Henry auf Reisen ging und Leute in aller Welt im Namen der Whittaker Company Mores lehrte. Alma lernte, niemals auch nur ein Wort an Dick Yancey zu richten.
    Alma lernte, dass ihr Vater zwar selbst nicht die Sonntagsruhe hielt, wohl aber im Namen der Whittakers die beste Kirchenbank des schwedisch-lutherischen Gotteshauses, wo Alma und Beatrix ihre Sonntage verbrachten. Almas Mutter machte sich nicht viel aus den Schweden, doch weil es in der Nähe keine holländisch-reformierte Kirche gab, waren die Schweden besser als gar nichts. Wenigstens erfassten und teilten sie die zentralen Glaubensüberzeugungen der calvinistischen Lehre, die sich in etwa so auf den Punkt bringen ließen: Du bist für dein Leben selbst verantwortlich, du bist aller Voraussicht nach dem Tode geweiht, und die Zukunft ist grausig und düster. All dies war Beatrix in tröstlicher Weise vertraut und besser als die falschen, butterweichen Beschwichtigungen der anderen Religionen.
    Alma wünschte sich, sie hätte sonntags nicht in die Kirche gehen müssen, sondern zu Hause bleiben können wie ihr Vater, um bei den Pflanzen zu arbeiten. In der Kirche war es öde und ungemütlich und roch nach Tabaksaft. Im Sommer kamen auf der Flucht vor der unerträglichen Hitze des Öfteren Hunde und Truthähne durch die offene Tür spaziert. Im Winter wurde es in dem alten Gemäuer unsäglich kalt. Sooft ein Lichtstrahl durch das wellige Glas eines der hohen Kirchenfenster fiel, streckte ihm Alma das Gesicht entgegen wie eine der tropischen, zur Freiheit strebenden Kletterpflanzen in den Treibhäusern ihres Vaters.
    Almas Vater mochte weder die Kirche noch die Religion, er nahm Gott allerdings gern in Anspruch, wenn es darum ging, seine Feinde zu verfluchen. Die Liste der Dinge, die Henry nicht mochte, war lang, und Alma kannte sie gut. Sie wusste, dass ihr Vater große, korpulente Männer hasste, die kleine Hunde hielten. Er hasste auch Menschen, die schnelle Pferde kauften, obwohl sie nicht reiten konnten. Ferner hasste er: Vergnügungssegelschiffe, Landvermesser, billige Schuhe, Frankreich (die Sprache, das Essen, die Menschen), reizbare Büroangestellte, kleine Porzellantellerchen, die in Männerhänden sowieso nur zerbrachen, Gedichte (außer Lieder!), rückgratlose Feiglinge, stehlende Hurensöhne, verlogene Zungen, den Klang von Geigen, die Armee (jede Armee), Tulpen (»Zwiebeln, die sich wichtig machen!«), Blauhäher, Kaffeetrinken (»eine elende Angewohnheit der Holländer!«) und schließlich – wobei Alma noch nicht ganz verstand, was die beiden Begriffe eigentlich bedeuteten – sowohl die Sklaverei als auch die Abolitionisten.
    Henry konnte ein gehöriger Unruhestifter sein. So rasch wie andere ihre Weste aufknöpften, war er imstande, Alma zu kränken und zu verunglimpfen (»Niemand kann ein dummes, eigennütziges kleines Ferkel leiden!«), doch es gab auch Momente, in denen er sie nachweislich gernhatte, ja sogar stolz auf sie war. Einmal kam ein Fremder nach White Acre, um Henry ein Pony zu verkaufen, auf dem Alma das Reiten erlernen sollte. Das Pony hieß Soames, es war weiß wie Puderzucker, und Alma liebte es auf den ersten Blick. Man verhandelte über den Preis. Die beiden Männer einigten sich auf drei Dollar. Alma, gerade erst sechs Jahre alt, fragte: »Entschuldigen Sie, Sir, aber sind Sattel und Zaumzeug, die das Pony gerade trägt, auch im Preis enthalten?«
    Der Fremde reagierte unwirsch auf ihre Frage, während Henry vor Lachen brüllte. »Da hat die Kleine Sie aber drangekriegt, Mann!«, grölte er, und jedes Mal, wenn Alma an diesem Tag in seine Nähe kam, zauste er ihr das Haar und sagte: »Was habe ich doch für eine gute Geschäftsfrau als Tochter!«
    Alma lernte, dass ihr Vater abends aus Flaschen trank, die mitunter Gefahren bargen (Geschrei, Vertreibung), hingegen auch Wunder bewirken konnten – etwa die Erlaubnis, auf ihres Vaters Schoß zu sitzen, wo sie möglicherweise phantastische Geschichten und vielleicht sogar ihren kostbaren Kosenamen zu hören bekam: Plum , Pflaume. An solchen Abenden erklärte ihr Henry Dinge wie: »Du solltest immer genug Gold dabeihaben, Plum, damit du, falls du entführt wirst, dein Leben zurückkaufen kannst. Wenn es nicht anders geht, näh es dir in den Rocksaum, aber hab immer Geld dabei!« Henry erzählte ihr, dass sich

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