Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
Vom Netzwerk:
nachdachte, wie gern sie eine ihrer vielen Sprachen hergeben würde (jede außer Griechisch!), wenn es ihr dafür nur ein einziges Mal gelänge, einen Umschlag so hübsch zu falten wie Prudence.
    Trotz alledem oder vielleicht gerade deshalb zog Alma aus den Bereichen, in denen sie ihre Schwester übertraf, große Befriedigung, und der Ort, an dem sich ihre Überlegenheit am deutlichsten zeigte, war der berühmte Gästetisch im Hause Whittaker, besonders dann, wenn beim Dinner ambitionierte Ideen im Raum standen. Je älter Alma wurde, desto mutiger, selbstbewusster und bedeutungsvoller wurden auch ihre Beiträge. Solches Selbstvertrauen sollte Prudence an diesem Tisch niemals gewinnen. Reizend, aber stumm saß sie da wie überflüssiger Zierrat, der lediglich den Platz zwischen zwei Gästen ausfüllte, und schien außer ihrer Schönheit nichts beizusteuern. In gewisser Weise erfüllte Prudence damit allerdings einen Zweck. Man konnte sie neben jeden Gast setzen, sie beschwerte sich nie. An mancherlei Abenden wurde das arme Mädchen absichtlich neben die langweiligsten, schwerhörigsten alten Professoren gesetzt, neben Grabmäler in Menschengestalt, die mit der Gabel in ihrem Gebiss herumstocherten oder inmitten stürmischer Diskussionen leise schnarchend über ihren Tellern einschliefen. Prudence protestierte nie, bat niemals um unterhaltsamere Tischherren. Es schien wirklich kein Unterschied zu sein, wer neben ihr saß: An ihrer Haltung und ihrer perfekten Contenance änderte sich nichts.
    Unterdessen stürzte sich Alma in jede Diskussion über jedes nur erdenkliche Thema – von Bodenbewirtschaftung über Gasmoleküle bis hin zur Physiologie der Tränen. Eines Abends kam beispielsweise ein Gast nach White Acre, der gerade aus Persien zurückgekehrt war, wo er vor den Toren der antiken Stadt Isfahan eine Pflanze entdeckt hatte, von der er glaubte, dass sie Ammoniakgummi hervorbrachte – ein altbekannter, lukrativer Wirkstoff, dessen Herkunft die westliche Welt immer noch vor ein Rätsel stellte, weil die Handelswege von Banditen kontrolliert wurden. Der junge Mann hatte für die britische Krone gearbeitet, doch aus Enttäuschung über seine Vorgesetzten wollte er nun mit Henry Whittaker über die Finanzierung eines langfristigen Forschungsprojekts sprechen. Henry und Alma, die bei Tisch häufig Hand in Hand arbeiteten, bedrängten ihn von beiden Seiten wie Hirtenhunde, die einen Schafsbock in die Enge treiben.
    »Wie ist das Klima in dieser Gegend von Persien?«, fragte Henry.
    »Und die Höhenlage?«, fügte Alma hinzu.
    »Nun, Sir, die Pflanze wächst in den weiten Ebenen«, erwiderte der Gast. »Und ich versichere Ihnen, sie enthält so viel Gummi, dass sich große Mengen herauspressen –«
    »Ja, ja, ja«, fiel ihm Henry ins Wort. »Das sagten Sie ja schon, und ich vermute, wir müssen da Ihrem Wort glauben, denn ich stelle fest, dass Sie mir keine Beweise mitgebracht haben, nicht mal ein Fingerhütchen voll Gummi. Aber sagen Sie mir wenigstens, wie viel müssen Sie den Beamten in Persien geben? Ich meine, als Gebühr dafür, dass Sie durch ihr Land spazieren und nach Lust und Laune Gummiproben sammeln?«
    »Nun, sie verlangen schon eine Gebühr, doch es scheint ein geringer Preis zu sein …«
    »Die Whittaker Company zahlt keine Gebühren«, sagte Henry. »Ich kann das Wort nicht leiden. Warum haben Sie überhaupt durchblicken lassen, was Sie dort tun?«
    »Nun, Sir, man kann sich doch wohl nicht zum Schmuggler machen!«
    »Ach nein?« Henry zog eine Augenbraue hoch. »Kann man nicht?«
    »Könnte man die Pflanze denn an einem anderen Ort kultivieren?«, schaltete sich Alma ein. »Sehen Sie, Sir, es würde uns nicht viel nützen, wenn wir Sie jedes Jahr zum Sammeln auf teure Expeditionen nach Isfahan schicken müssten.«
    »Ich hatte noch keine Gelegenheit, dies zu erkunden …«
    »Könnte man sie in Kattywar kultivieren?«, fragte Henry. »Haben Sie Partner in Kattywar?«
    »Nun, ich weiß nicht, Sir, ich habe kaum …«
    »Oder könnte man sie vielleicht im Süden von Amerika anpflanzen?«, warf Alma ein. »Wie viel Wasser braucht sie?«
    »Ich bin nicht an Unternehmungen interessiert, die etwas mit Pflanzenanbau im Süden von Amerika zu tun haben, das weißt du ganz genau«, entgegnete Henry.
    »Aber Vater, die Leute sagen, im Gebiet Missouri …«
    »Ganz ehrlich, Alma, hältst du es wirklich für vorstellbar, dass dieses kleine, blasse, englische Würstchen in Missouri Erfolg hat?«
    Das kleine,

Weitere Kostenlose Bücher