Das Wiegen der Seele (German Edition)
Augen nicht. Er kannte den Vers vom Tonband des anonymen Anrufers. Er las weiter: Vom Himmel herab regnet es Blut und Steine. Treffen wird es denjenigen, der die Stätte entweihe und die Niederschrift erblicke. Die Zeremonie sei verdammt in alle Ewigkeit. Blitz und Donner wird über dem erscheinen, der sich meinen Gesetzen widersetzte. In alle Ewigkeit wird das Tor bewacht. Wehe dem , der es missachtet. Der sei zum Tode verdammt. Ich, Anubis, Wächter des Jenseits, wache. Meine leibeigenen Diener werden kommen, um die Stätte zu schützen. Koste es Leben oder Tod, sie seien bestimmt für diesen Auftrag.
Nettgen blickte nach jeder Zeile auf die nächste, die den Originaltext übersetzte. Beim letzten Absatz jedoch weiteten sich seine Augen noch mehr vor Erstaunen. Er las den persönlichen Vermerk von El Dhamosis: Die Unterwelt von Essen lässt jeden erstarren, der die Grabstätte entweiht. Die Mönche sind voller Ungewissheit, denn sie wissen nicht, was sich unter ihnen verbirgt. Die Wächter haben sich überall dort niedergelassen, wo sich der Feind versteckt hält.
El-Dhamosis
Immer wieder betrachtete Nettgen das Blatt und las es unzählige Male. Es gab da einen Zusammenhang, er konnte ihn nur noch nicht sehen. Auf jeden Fall musste El Dhamosis etwas mit den Morden zu tun gehabt haben. Wieso schrieb er sich sonst den Text des anonymen Anrufers auf, und woher wusste er über Essens Unterwelt bescheid ? Wer waren diese Mönche? War El Dhamosis gar selbst ein Wächter?
Er holte den knochenharten Gegenstand hervor, den er ebenfalls bei dem Opfer gefunden hatte. Nettgen starrte auf einen Stein. Er war mit Kerben versehen, jedoch glich er einem gewöhnlichen Stein, den man überall hätte finden können. Das musste Crampton's Stein sein, von dem El Dhamosis erzählt hatte. Aber wir kam er in dessen Besitz? Er betrachtete den Stein von allen Seiten, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf. Ihm kam die Sache allmählich albern vor, denn was war so interessant an dem Stein? Warum war er für Crampton so wertvoll? Was wollte er bloß damit? Nettgen überlegte und überlegte. Crampton schien es nur auf solche unscheinbaren Dinge abgesehen zu haben, genau wie diese Malschablone. Da findet er Kostbarkeiten von unschätzbarem Wert und nimmt eine Malschablone, die irgendein schlampiger Künstler vor dreitausend Jahren vergessen hat. Aber irgendwo hatte er schon einmal so etwas zu Gesicht bekommen, er konnte sich nur nicht mehr daran erinnern, wo. So sehr er sich auch anstrengte und in seinem Kopf danach suchte, er kam nicht darauf. Nettgen war es im Laufe der gesamten Ermittlungen schon gewohnt, Teilergebnisse oder erfolglose Hinweise vorerst auf die Seite zu legen und das tat er – etwas deprimiert - auch diesmal.
Kapitel 1 7
Nettgen zündete sich eine Zigarette an, zog den ersten Zug wie eine Luftpumpe und schaute schielend zu, wie das Ende der Zigarette feurig rot aufglomm. Dann goss er sich einen Kaffee ein. Vor ein paar Minuten hatte er sich mit Maria gesprochen, ihr di e Situation geschildert und um Verzeihung gebeten , sie so zu vernachlässigen . Er empfand für sie mehr, als er je für irgendeine Frau empfunden hatte, doch er wollte noch auf den richtigen Moment warten, ihr das zu sagen.
Er hatte die ersten Stunden seines Dienstes damit verbracht, den Bericht über El Dhamosis zu verfassen. Danach sah er zu, dass er sein Fahrzeug wiederbekam. Die Kollegen der Spurensicherung gaben seinen Wagen frei, was ihn erfreuen ließ. In allen Details über El-Dhamosis legte er die Geschehnisse dar und brachte zu Papier, wie sich alles zugetragen hatte. Als er seinen Bericht auf den Schreibtisch seines Bosses warf, überkam ihn Wut, dass er über sein zwar gefährliches, aber wohl trotzdem verständliches Handeln Rechenschaft ablegen musste. Natürlich wusste er, dass die Dienstvorschriften das nun einmal vorsahen, doch zum x-ten Male wünschte er sich, dass Löffler bald wieder einsatzfähig sei. Er konnte eindeutig besser Berichte schreiben als Nettgen.
In diesem Moment kam Burscheidt hereingeplatzt.
„Morgen Nettgen“, meinte er. „Ah, I hr Bericht. Sehr schön, danke. Sie sollten sich vielleicht mal fragen, ob ihre Alleingänge im Polizeidienst auf Dauer sinnvoll sind!“
„Guten Morgen Herr Burscheidt“, entgegnete Nettgen. „Ich habe gehandelt, wie jeder andere Kommissar in meiner Situation wohl auch gehandelt hätte! Falls S ie Fragen haben, lesen S ie gründlich den Bericht, es steht alles
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