Das Wiegen der Seele (German Edition)
war Nettgen das zweite Mal an diesem Tag mit Müller unterwegs. Er alarmierte aus dem Wagen die Bonner Kollegen und bekam die Unterstützung. Ihr Weg führte sie in die Nähe der Bonner Universität, wo der Professor in einem hochherrschaftlichen Haus aus der Gründerzeit lebte. Nettgen hoffte nur, dass sie noch rechtzeitig eintreffen würden.
Eine kniehohe Hecke umgrenzte das Grundstück. Vor dem Haus kam der Wagen zum stehen. Auch die Bonner Polizei traf in diesem Moment ein. Vögel schwirrten vom Lärm auf und flogen erschrocken in den tiefblauen Himmel. Autotüren wurden aufgerissen und die Polizisten stürmten aus den Fahrzeugen. Ein Teil des Bonner Sonderkommandos umstellte das Haus, einige postierten sich vor der Tür. Nachdem auf ihr Klingeln niemand öffnete, drangen die Polizisten gewaltsam in das Haus ein. Nettgen und Müller folgten dem Kommando ins Haus. Nach und nach wurde jeder Raum durchsucht. Keine Spur vom Professor.
Dann plötzlich kam eine Stimme aus dem Keller. „Wir haben ihn!“ rief einer der Beamten.
Nettgen rannte, was das Zeug hielt, in den Keller. Er rechnete mit dem Schlimmsten. Sein Herz schlug wie verrückt, als er die Treppe hinunter stürmte. Adrenalin floss in Strömen. Die Tür zu einem Kellerraum stand einen Spalt breit offen. Die Kollegen standen davor und deuteten hinein. Er drückte sie ganz auf. Ein abscheulich süßlicher Geruch drang heraus. Nettgen strich sich mit der Hand übers Gesicht und versuchte, die aufsteigende Angst zu bekämpfen. Er setzte einen Schritt in den schlecht beleuchteten Raum und als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, schrie er entsetzt auf.
Was er sah, war abscheulich. Er wechselte die Gesichtsfarbe und blieb wie gebannt stehen. Er begann zu würgen, bis er schließlich seine Hand vor den Mund drückte und eilig aus dem Raum rannte. Zu spät, denn direkt an der Tür übergab er sich vor seinen Kollegen.
Nachdem sich Nettgen vom ersten Schock erholt hatte, drehte er sich wieder um und schaute erneut auf die grausame Szene.
Neuhausens nackter, lebloser Körper hing an der Rückwand des Raumes. Seine Gliedmaßen waren mit Stricken an die Wand gefesselt, so dass er wie Jesus am Kreuz an der Wand zu kleben schien. Nettgen schluckte. Ihm standen die Tränen in den Augen. Er näherte sich dem Professor. An der Gesäß- und Brustpartie waren feine Hautrisse zu erkennen, umgeben von dunklen Flecken, die durch Blutergüsse und gerissenes Muskelgewebe bei der Überdehnung entstanden waren. Der Kopf hing grotesk nach vorne. Nettgen bemerkte, dass der Hinterkopf aufgerissen war. Riesige Fetzen Fleisch klappten zur Seite. Ein Loch im Knochen, Gehirnmasse war zu sehen. Es sah aus, als sei das Gehirn entfernt worden. Fliegen summten aufgeregt über dem mit Blut verklebten Haar herum. An der linken Unterseite des Bauchraumes klaffte eine lange Schnittwunde, die heftig geblutet hatte. Knochensplitter und Knorpelgewebe drangen aus dem Fleisch hervor. Unter ihm hatte sich bereits ein großer Blutfleck gebildet. Nettgen wurde wieder übel. Er musste seine Augen schließen und kämpfte gegen den Würgreflex.
Dann bückte er sich, um dem Professor in die Augen zu schauen. Sie waren entfernt worden. Er erstarrte, als er in die leeren Augenhöhlen blickte.
Nettgen kämpfte mit aller Gewalt gegen den Brechreiz und die Tränen. Er schloss die Augen und spürte, wie sich seine Hände automatisch zu Fäusten ballten. Er wischte sich mit den Handrücken über den Mund und die Augen. Benommen verließ er den Keller und stieg die Treppe hinauf.
Oben angekommen, wurde er bereits von Burscheidt und zwei gut gekleideten Herren erwartet, die geradewegs auf ihn zusteuerten. Als die zwei Männer, die Nettgen nur vom Sehen kannte, bei ihm waren, schenkte ihm der eine künstliches Lächeln zu und versuchte, locker zu wirken, was allerdings sichtlich schwer fiel.
„Kommissar Nettgen“, grüßte er „ Mein Name ist Wagner, Bundeskriminalamt. Das ist mein Kollege Kuhnert.“ Mit einer Handbewegung wies er auf den anderen Schlipsträger. Dieser nickte Nettgen nur zu. Dann predigte er fort: „Es tut mir l eid, aber wir können das alles hier nicht mehr verantworten. Von nun an führen wir die Ermittlungen durch und sie sind raus! Geben sie mir bitte ihre Dienstwaffe und ihre Marke!“
Nettgen traute seinen Ohren nicht, blickte zu Burscheidt und schüttelte nur den Kopf.
„Was? Was ist los? Ich soll was?“ , fragte er verärgert.
Er spürte das Blut in seinem
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