Das Wiegen der Seele (German Edition)
Müdigkeit wie weggeblasen. Er starrte entsetzt auf das Türschloss. Jemand hatte es gewaltsam geöffnet. Mit Vorsicht griff er an die Stelle seines Körpers, wo eigentlich seine Dienstpistole stecken sollte. Doch nichts mit rausziehen und durchladen . Mit Entsetzen stellte er fest , dass er keine Sicherheit im Rücken hatte. Sein Mund wurde trocken und er schluckte mehrmals nacheinander. Dann drückte er die Tür ganz langsam weiter auf und spähte durch den Schlitz. Es war stockdunkel und totenstill. Mit einem gewaltigen Ruck warf er sich gegen die Tür, sodass sie mit einem lautstarken Krachen bis zur Wand aufschlug. Sofort knipste er das Licht an und schritt beherzt in die Wohnung.
Zwischen Bad und Wohnzimmer hörte er hinter sich ein Geräusch. Erschrocken fuhr er herum . Dort stand eine Gestalt im braunen Habit mit einer mächtigen Kapuze auf dem Kopf und sagte kein Wort. Sie war weitaus größer als Nettgen und scheinbar auch kräftiger . Zumindest wirkte sie angsteinflößend . Diese Gestalt war augenscheinlich in der Lage, mit ihm fertig zu werden, ohne sich großartig anstrengen zu müssen. Nettgen erstarrte. N och bevor er reagieren konnte, bekam er einen Faustschlag ins Gesicht. Nettgen prallte gegen die Wand und glitt zu Boden.
Als die Gestalt versuchte zu flüchten, rappelte er sich auf und verfolgte sie. Kurzfristig hatte er die Hoffnung, dass es ihm gelingen würde, den Angreifer zu überwältigen. Doch vor der Wohnungs tür drehte sich de r Eindringling blitzschnell um und erwischte Nettgen mitten im Lauf. Im einsetzenden Handgemenge versuchte er , einen Arm des Angreifers zu packen, um ihn zu Boden zu bringen. Dabei fing er sich einen weiteren, noch härteren Schlag ein. Der Schmerz durchzuckte ihn. Er schrie auf und taumelte zu Boden .
Nettgen raffte sich mühselig auf und nahm die Verfolgung auf. Vor der Haustür sah er den Eindringling nach links abbiegen und im Affentempo in Richtung Müller-Breslau-Straße rennen . Nettgen hetzte hinterher und war der Gestalt bald dicht auf den Fersen . Der Kuttenträger beschleunigte das Tempo . Nettgen blieb dran und schaffte es, den Abstand auf gut zwanzig Meter zu reduzieren. Kurz vor einer Ruhrbrücke bog die Gestalt links in einen schmalen Weg ein, der unterhalb der Brücke ans Wasser führte. Die Gestalt schien nicht an Kraft und Ausdauer zu verlieren, sie erhöhte sogar das Tempo und lief unter der Brücke hindurch und auf der anderen Seite wieder die Böschung hinauf. Nettgen schnaufte wie eine Dampflok. Er rannte, immer weiter. Seine Beine liefen wie von selbst, an getrieben von Wut, aber der Abstand zum Kuttenträger wurde wieder größer. Dann war auch er auf der Ruhrbrücke. Die Gestalt stand auf dem Geländer, bereit zum Sprung. Nettgen atmete tief, sein Herz raste. Er starrte den Angreifer an. Die Gestalt nickte, drehte sich um und sprang. Nettgen konnte nur hinterher starren. Er suchte sein Handy in seiner Tasche, fand es und setzte sich mit Löffler in Verbindung.
Löffler war alles andere als begeistert von seinem Anruf, denn er hatte schon mit seiner Frau im Bett gelegen. Nettgen schilderte sein nächtliches Abenteuer und bat Löffler, eine Fahndung einleiten zu lassen. Bevor Nettgen das Telefonat beendete, sagte er noch : „Wir treffen uns in einer Stunde bei mir zu Hause.“ Kurz darauf machte sich Nettgen schließlich auf den Weg . Von unterwegs verständigte er die Spurensicherung.
„Man, siehst du fertig aus, schlimmer als ich“, begrüßte Nettgen seinen Kollegen .
„Manchmal könnte ich dich ...! Und heute Nacht ist manchmal! Meine Frau hat mir bereits den Hintern aufgerissen, und zwar vertikal und diagonal! Kann so was nicht bis morgen warten!?“
Löffler war inzwischen wach – hellwach – und wutempört.
Nettgen stockte einen kleinen, aber bedeutungsschweren Moment, bevor er antwortete. „Vielleicht liegt es daran, dass bei mir eingebrochen und ich zusammengeschlagen wurde. Hinzu käme dann noch, dass ich diesen Kuttenträger bis zur Ruhr verfolgt habe und er sich in Luft aufgelöst hat. Nicht zu vergessen, dass es hier aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen! So eine verdammte Scheiße! Noch Fragen!?“
Nettgen schaute durch das absolute Chaos seiner Wohnung. Nichts stand, hing oder lag auf seinem alten Platz. Die Wohnung glich einem Schlachtfeld. Noch bevor sich Löffler für seine harten Worte entschuldigen konnte, klopfte es an der offenen Tür. Es war Thomas, der Kollege der Spurensicherung, mitsamt
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