Das Wiegen der Seele (German Edition)
Skarabäus auch eine mythologische Bedeutung hatte, versuchte er jetzt, sich den mysteriösen Zeichen und Symbolen auf der Wand zu widmen, bei denen es sich, wie er herausfand, um Hieroglyphen handelte. Der Fall interessierte ihn immer mehr.
Er verglich die Aufnahmen der Spurensicherung mit den Hieroglyphen aus dem Buch. Die Aufnahmen der bemalten Wand waren in einer bestimmten Reihenfolge aufgenommen worden: Das erste Foto zeigte die gesamte Wand, dann folgten augenscheinlich zusammenhängende Zeichen. Die letzten Bilder waren Großaufnahmen jedes einzelnen Zeichens. Nettgen zündete sich eine Zigarette an und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
Seine Aufmerksamkeit galt der ersten Symbolreihe. Er hatte große Probleme, die gekritzelten Zeichen überhaupt einordnen zu können. Er verglich alle Hieroglyphen und Symbole mit den Fotos, aber es dauerte einige Zeit, bis er begriff, dass diese Zeichen anders angeordnet waren als die anderen. Weitere Zeit verstrich, ehe er endlich den Hinweis fand, dass es sich dabei um eine sogenannte Kartusche handelte, die den Namen eines Pharao beinhaltete. Von da an war die Suche etwas einfacher, musste er doch jetzt nur noch seine Kartusche mit den Abbildungen in dem Buch über altägyptische Geschichte vergleichen. Endlich wurde er fündig. Er stieß auf eine Abbildung, die den Zeichen auf der Wand genau entsprach.
Laut dem Buch war die Bedeutung der Hieroglyphen AHMOSE. Aufgeregt blätterte er jetzt durch die Bücher auf der Suche nach AHMOSE.
Schließlich fand er ihn als Pharao, der zur Zeit des Neuen Reiches , das von 1570 bis 1070 v. Chr. andauerte, regierte. Ein Pharao der achtzehnten Dynastie.
Viel schlauer war Nettgen jetzt nicht, aber immerhin hatte ihm sein Erfolg einen enormen Adrenalinstoß versetzt und so machte er sich jetzt gespannt an die nächsten Entschlüsselungen. Das war besser als jedes Fernsehprogramm.
Inzwischen lag nur noch der abgebrannte Filter seiner Zigarette im überfüllten Aschenbecher. Der Tabak war ohne einen Zug zu Asche verbrannt.
Sorgfältig betrachtete Nettgen die nächsten Zeichen, von links nach rechts, von oben nach unten. Er sah das Symbol eines Messers, daneben waagerechtverlaufende Zick-Zack-Streifen über einem kleinen Rechteck, gefolgt von einem Vogel und einem sitzenden Leib mit einem Tierkopf.
Er war fest entschlossen, das Rätsel zu lösen.
Rund zwei Stunden später konnte er sich ein Bild dieser mysteriösen Symbolreihe machen. Den entscheidenden Hinweis lieferte diesmal das Buch über altägyptische Mythologie. Die Zeichen symbolisierten Anubis, den Totengott.
Dem anfänglichen Triumph über diesen neuerlichen Erfolg folgte das Entsetzen, als er die Beschreibung las:
Anubis war die Gottheit der Mumifizierung, göttlicher Vermittler zwischen dem Verstorbenen und dem Totengericht im Jenseits. Er war es, der die Toten an der Pforte des Jenseits in Empfang nahm. Er stellte den Verstorbenen den Richtern vor und überwachte das „Wiegen der Seele“, eine Zeremonie, bei der das Herz des Toten mit einer Straußenfeder aufgewogen wurde ...
Nettgen wurde bleich und bekam eine Gänsehaut. Krampfhaft versuchte er, einen Zusammenhang zu finden. War das fehlende Herz der Schlüssel?
Vor seinem inneren Auge erschien das Bild einer menschenähnlichen Figur mit dem Kopf eines Schakals. Anubis – wie er in dem Buch abgebildet war.
Einen Atemzug später schlief er unruhig ein. In sei n en Träumen wurde Anubis lebendig ...
Kapitel 3
Am Morgen des darauf folgenden Tages erwachte Nettgen – vorgebeugt am Küchentisch sitzend – mit heftigen Rückenschmerzen und eingeschlafenen Handgelenken. Er schüttelte sich unbehaglich und versuchte, langsam aufzustehen. Er streckte sich und stöhnte. Alle Knochen taten ihm weh, er brauchte dringend Kaffee. Zwei verkorkste Nächte hintereinander waren auch für ihn zu viel.
Um ihn herum stapelten sich Bücher und langsam kehrte die Erinnerung an den gestrigen Abend wieder. Eine vage Erinnerung an einen Traum, in dem ein Schakal eine Rolle spielte, kroch in ihm hoch. Er rannte durch einen Gang und stand in einer Art Höhle oder Gruft, die aufzutauchen und immer wieder zu verschwinden schien. Der Traum war so verrückt, dass er gar nicht erst versuchte, sich an irgendwelche Einzelheiten zu erinnern. Er blickte auf die Uhr und startete sein übliches Morgenprogramm.
Gegen halb zehn befand sich Nettgen auf dem Weg zu Maria Crampton, der Witwe des Ermordeten. Nach nur
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