Das Wiegen der Seele (German Edition)
wirkte wirklich ziemlich gefasst.
„Ja, ein Kaffee wäre nicht schlecht, vielen Dank.“ Frau Crampton rief nach dem Dienstmädchen: „Judy, bringen Sie uns zwei Kaffee bitte?“ – „Sofort, Frau Crampton“, erklang die Antwort von irgendwo hinter der Tür.
„Kommissar Nettgen, sagen S ie mir, wer macht so etwas Grauenhaftes?“, schluchzte sie plötzlich mit zitternder Stimme und umklammerte seine Hand.
Nettgens Erleichterung fiel schlagartig von ihm ab. Alles, bloß das nicht ...
„Frau Crampton“, sagte Nettgen mit betont ruhigem und geschäftlichem Tonfall , „beruhigen Sie sich. Wir werden alles versuchen, diesen Mordfall aufzuklären. Aber ich muss I hnen leider ein paar Fragen stellen.“ Er geleitete sie zur Sitzecke. Sie blickte ihn an, nickte und setzte sich auf einen der sechs Ledersessel, die um einen ovalen Glastisch standen. „Entschuldigen Sie, aber meine Nerven liegen im Moment etwas blank.“ Sie schlug die Beine übereinander, die Hände auf dem Schoß gefaltet. Nettgen nahm neben ihr Platz und zog seinen Notizblock hervor. Ihm wurde warm, als er bemerkte, dass seine Gedanken nicht dort waren, wo sie hingehörten. Er ertappte sich dabei, dass sein Blick auf Frau Cramptons Beinen in den schwarzen Strümpfen ruhten . Hohe Absätze zogen ihn immer magisch an. Aber doch nicht jetzt! Mit der Hand fuhr er sich über die Stirn. „Äh – ja, verständlich“, stammelte er und wandte seinen Blick von ihren Beinen ab. Gott sei Dank! In diesem Moment wurde der Kaffee gebracht.
„Meinen Kollegen Kommissar Löffler haben S ie ja gestern bereits kennengelernt. Danke, dass S ie ihm schon erste Fragen beantworten konnten. Es muss schlimm für S ie sein, Ihren Mann auf so eine tragische Weise zu verlieren. Trotzdem muss ich noch ein paar Details wissen.“ Nettgen versuchte, seine einfühlsame Seite herauszukehren, wie er es im Psychologieunterricht gelernt hatte.
„Ja, das verstehe ich, das ist I hr Job. Ich versuche, mich zu beherrschen. Ich werde I hnen alle Fragen beantworten, so gut ich kann.“ Maria Cramptons Hände zitterten, ihre Aufregung war deutlich spürbar.
„Okay, gehen wir vorgestern noch mal durch: Wann haben Sie Ihren Mann das letzte Mal gesehen?“ Er fügte mit einem Anflug von Taktgefühl hinzu: „Entschuldigen S ie, aber ich muss S ie das fragen, auch, wenn S ie meinem Kollegen schon darauf geantwortet haben.“
„Am Dienstagnachmittag hatten die Kinder wie immer ihren Klavierunterricht. Frau Patter, die Klavierlehrerin, kommt dafür dienstags und freitags für etwa zwei Stunden. Jack ist dann immer aus dem Haus gewesen, wenn er konnte. Er liebte das Klavierspiel, aber das Geklimper , wie er den Unterricht nannte, konnte er nicht mit anhören. Er selbst war ein großartiger Pianist ...“ Es entstand eine kurze Pause. Frau Crampton schien sich in melancholischen Erinnerungen zu verlieren.
Nettgens Warnsirenen gingen an: Bloß keine Tränen! Sofort fragte er deshalb weiter. „Hat Ihr Mann auch diesen Dienstag zum Unterricht das Haus verlassen?“
„Ja, das hat er. Er wollte sich gegen sechzehn Uhr mit einem Kollegen treffen und ist deshalb gegen fünfzehn Uhr mit dem Auto in die Stadt gefahren.“
„Mein Kollege sagt, Ihr Mann sei Archäologe gewesen. Stimmt das?“
„Ja, Jack ist – war – Archäologe. Er hat viele Ausgrabungen geleitet und war ein anerkannter Experte auf seinem Gebiet ...“ Wieder diese gefährliche Pause. Nettgen geriet in Panik und fragte deshalb unüberlegt: „Und was wollte Ihr Mann in Essen ausgraben?“ Sofort hätte er sich für diese Frage ohrfeigen können. Sein Humor war an dieser Stelle nicht sonderlich angebracht. Wider Erwarten lächelte Frau Crampton. Nettgen fiel ein Stein vom Herzen.
„Hier in Deutschland hat er Vorlesungen an verschiedenen Universitäten gehalten. Aber ihn hat es nie sehr lange zu Hause gehalten. Er war nur glücklich, wenn er irgendwo in alten Steinen rumwühlen konnte, wie er es oft scherzhaft nannte. Er wusste, dass er für diese Leidenschaft oft auch seine Familie vernachlässigte, aber ohne die Arbeit konnte er nicht leben.“
„Was wollte er mit seinem Kollegen besprechen? Hat er irgendwas gesagt?“
„Er wollte wohl noch etwas über seine letzte Expedition besprechen. Er ist erst vor kurzem aus Ägypten zurückgekommen und musste wohl noch ein paar Ergebnisse ausarbeiten. Genaueres weiß ich leider nicht.“
„Hat er Ihnen mitgeteilt, wo genau er hin wollte und wie der Kollege
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