Das Wiegen der Seele (German Edition)
abgebrannten Schmuckfabrik im westlichen Industriepark . “
„Ist gut, bis gleich“, meinte Nettgen betroffen und beendete das Gespräch.
„Maria, es tut mir leid, ich ...“
„Ich weiß“, unterbrach sie ihn. „Und ich verstehe es. Es ist dein Job. Fahr, aber versprich mir, auf dich aufzupassen.“
Erleichtert schenkte Nettgen ihr ein dankbares, zugleich verliebtes Lächeln, strich ihr mit der flachen Hand zart über die Wangen und gab ihr einen Kuss.
„Sehen wir uns morgen? “, fragte er.
„Gern“, antwortete sie. „Bitte, pass auf dich auf . “
„Mach ich“, meinte Nettgen, ließ von ihr ab, warf ihr noch einen Luftkuss zu und verließ das Anwesen.
* * *
Auf dem Gelände der Schmuckfabrik hatte sich trotz der späten Stunde bereits die Presse versammelt. Reporter drängten sich vor der Polizeiabsperrung, als Nettgen eintraf. Er fragte sich, wie diese Aasgeier immer so schnell zur Stelle sein konnten. Er war nicht gerade in bester Laune. Immerhin stand ihm ein neuer Leichenfund bevor, wahrscheinlich aus einer Mordserie, deren Akte die Behörden fast schon geschlossen hätten. Und dann war da noch Maria, die ihm einfach nicht aus dem Kopf ging. Die Reporter hefteten sich wie Kletten an Nettgens Fersen und bombardierten ihn mit unzähligen Fragen. Für sie war es eine riesige Sensation, dass ein augenscheinlicher Psychopath die Polizei an der Nase herumführte. Nettgen ließ sie schnellen Schrittes und ohne Kommentar links liegen und betrat das ehemalige Lager der abgebrannten Fabrik. Bei einem Brand vor etwa sechs Monaten war fast das gesamte Gebäude zerstört worden. Abgebröckeltes Mauerwerk, eingestürzte Dächer und Maschinen in Schutt und Asche ließen kaum noch etwas von der ursprünglichen Einrichtung erkennen.
Am Ende der Halle wartete bereits Löffler auf ihn. Er stand nachdenklich mit dem Rücken zur Wand und sah Nettgen schon von W eitem kommen.
Noch nie hatte Nettgen bei ihm einen niedergeschlageneren Blick gesehen. Löffler schüttelte nur den Kopf, zögerte einen Moment, stieß sich dann von der Wand ab und schüttelte ihm die Hand.
„Hallo Ralf.“ Die Resignation war seiner Stimme direkt anzuhören.
„Hallo Dietmar“, erwiderte Nettgen. „So langsam komme ich mir verarscht vor, aber immerhin habe ich die Genugtuung, dass ich wohl doch recht hatte. “ Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und schnippte sie in eine kleine Pfütze, in der bereits die aufgeweichten Filter zweier weiterer schwammen.
„Und , war es unser Psychopath ? “
„Wahrscheinlich schon“, antwortete Löffler. „Sieht ganz danach aus. Doch diesmal hat er richtig zugeschlagen. Komm mit, folge mir! Pass nur auf, wo du hintrittst, bei dem ganzen Schutt . “
Nettgen folgte ihm durch das Lager. Hinter einer Stahltür erstreckte sich ein Flur, der bis zu einer Treppe führte. Halogenscheinwerfer sorgten für reichlich Licht und strahlten die sonst düsteren Gänge aus. Löffler folgte dem Verlauf der Betontreppe in einen Keller. Nettgens Kopf war leer. Obwohl Hochsommer war, empfand er die Temperatur hier unten als so bitterkalt, dass er am ganzen Körper zitterte. Seine Hände verfärbten sich fast lila und er konnte hören, wie seine Zähne klapperten. Löffler bog nach links in einen nächsten Gang, der rund zehn Meter und mit einem starken Gefälle zu einer weiteren Tür führte. Sie stand offen. Nettgen zuckten die Blitzlichter der Fotoapparate entgegen, die wie bei einem Gewitter den Raum erhellten. In dem Kellerraum roch es nach Petroleum, schwach zwar, dennoch eindeutig wahrnehmbar. Heizungs- und Wasserrohre ragten aus der Betondecke. Auf dem Boden stand ein Betonpodest. Nettgen vermutete, dass es sich um den Heizungskeller handelte und auf dem Podest einst der Heizkessel gestanden hatte. Einst – denn was sich nun auf dem Podest befand, konnte er im ersten Augenblick nicht fassen. In seinem Gesicht spiegelten sich Faszination und Furcht.
„Was um alles in der Welt ist das ? “, fragte er verblüfft.
Vor ihm lag auf einem Tisch ein mumifizierter Körper, umhüllt mit Leinenbinden. Nur fast komplett eingewickelt, denn im Bereich der Hüfte bildeten herausgerissene Stofffetzen ein faustgroßes Loch. Vorsichtig näherte sich Nettgen der Mumie, beugte sich vor und achtete sorgsam darauf, nichts zu berühren. Beim Blick in das Loch sah Nettgen zunächst ledrige, gerissene Haut, gleich dahinter eine tiefe Wunde, wo Haut und Muskeln bis auf den Knochen abgenagt waren. Aus
Weitere Kostenlose Bücher