Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wiegen der Seele (German Edition)

Das Wiegen der Seele (German Edition)

Titel: Das Wiegen der Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Ullsperger
Vom Netzwerk:
Tier mit einer Pinzette heraus und platzierte es mit dem Rücken auf dem Brett. Leider hatte es den Transport nicht überlebt.
    „ Ups “, machte Nettgen, beugte sich vor und flitschte vorsichtig ein Hinterbein des Tieres hin und her, das erstarrt nach oben zeigte.
    „Ich darf doch sehr bitten“, murmelte Dr. Thierse und wedelte mit dem Finger vor Nettgens Nase hin und her.
    „Sorry“, bekannte Nettgen und machte einen großen Schritt vom Tisch zurück. „Darf ich rauchen?“ Schon während er die Worte aussprach, wurde ihm klar, dass er damit gute Aussichten auf den Preis für die dümmste Frage des Monats hatte.
    „Nein! Das wissen Sie doch!“ , antwortete Dr. Thierse genervt und begann seine Untersuchungen. Nettgen hingegen stand still und schweigend wie eine Parkuhr da und schaute dem Doktor interessiert zu. Nach einigen Minuten zeigte sich in Dr. Thierses Augen eine leichte Unsicherheit. Er richtete sich auf und schüttelte kaum merklich den Kopf.
    „Sie sagten, Sie haben das Tier am Leichnam gefunden?“, fragte er verblüfft und strich währenddessen eine verirrte Strähne seines langen, grauen Haares zurück, die ihn an der Stirn kitzelte.
    „Ja, Dr. Thierse. Das ist korrekt, warum?“, antwortete Nettgen, ungeduldig auf das Ergebnis wartend.
    Der Doktor zog den Kugelschreiber aus der Brusttasche seines weißen Kittels, knabberte ein wenig mit den Zähnen darauf herum und erklärte dann zögernd: „Also, Kommissar Nettgen, das ist so: Bei diesem Tier handelt es sich um einen Skarabäus, einfacher gesagt, um einen Pillendreher.“
    „Ja, und? Ich verstehe nicht ganz ...“, erwiderte Nettgen nachdenklich, wischte sich über den Mund und bewegte sich unbehaglich hin und her.
    Thierse erklärte weiter: „Nun, es ist ein Mistkäfer, der im Mittelmeergebiet beheimatet ist. Hier in Deutschland gibt es ihn nur im Zoo und vielleicht in einigen privaten Terrarien. Eigentlich ist er uns eher aus der altägyptischen Mythologie bekannt. Ich frage mich, wie Ihr Skarabäus nach Essen gelangt ist – obwohl wir ja heutzutage viel mit nicht hier beheimateter Fauna und Flora zu kämpfen haben. Jetzt auch noch Skarabäen, na Prost Mahlzeit.“
    Diese Aussage erfüllte Nettgen mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung. Erleichterung, weil Dr. Thierse ihm helfen konnte. Enttäuschung, weil er jetzt zwar eine Antwort auf die Frage nach dem Krabbeltier hatte, aber gleichzeitig damit auch einen ganzen Berg neuer Fragen, die er beantworten musste. Er hatte noch nie etwas über einen derartigen Skarabäus gehört und die Sache mit der Herkunft schien den Fall noch komplizierter werden zu lassen, als er ohnehin schon war.
    Laut dachte er: „Ich glaube zwar nicht an den Weihnachtsmann, aber an das, was ich mit eigenen Augen sehe. Was hat wohl ein Käfer aus Ägypten im Leib eines Toten in Essen zu suchen?“
    „Das würde mich auch interessieren“, entgegnete ihm Dr. Thierse. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir den Käfer für weitere Untersuchungen hierzulassen?“
    Nettgen betrachtete den Skarabäus noch eine Weile, bis er den Blick zurück auf Thierse richtete.
    „Natürlich, geht in Ordnung“, meinte er. „Geben S ie mir bitte Bescheid, wenn S ie noch etwas Außergewöhnliches entdecken.“
    „Selbstverständlich, Kommissar Nettgen.”
    Nettgen bedankte sich . Bevor er sich verabschiedete, sah er den toten Käfer noch sekundenlang wortlos und durchdringend an. Dann drehte er sich herum, grummelte vor sich hin und verließ schnellen Schrittes das Labor.

Kapitel 2
     
    Rund fünfundvierzig Minuten später erreichte Nettgen sein Büro in der Polizeidienststelle Essen. Der Raum war vollgestopft mit teils unerledigten, staubigen Akten, von denen jede einzelne eine schaurige Geschichte erzählte.
    Auf dem Schreibtisch herrschte das absolute Chaos, jedoch wusste er ganz genau, was wo zu finden war. Nettgen war ein eingefleischter Junggeselle. Zwar hatte er gelegentlich eine Freundin, doch die Beziehungen hielten nie lange an, da er kaum Zeit für die Frauen hatte und sie sich auch gar nicht wirklich nehmen wollte.
    Er bezeichnete sich als einen Dilettanten des Herzens , als einen jener Männer, denen es gel a ng, sich die bedingungslose Liebe einer Frau dadurch zu sichern, dass er stets vermittelte, er lege keinen Wert darauf – was ja auch stimmte.
    Die Frauen fanden ihn attraktiv – dazu verhalfen ihm unter anderem seine dunkelblonden Locken, die ihm ein jungenhaftes Aussehen verliehen, obwohl

Weitere Kostenlose Bücher