Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
gewesen. Er konnte nicht genau sagen, wann aus der Freundschaft Liebe geworden war, aber in der Rückschau über die Jahre konnte er erkennen, wann aus der leicht gönnerhaften Verachtung, die er ihr anfangs entgegengebracht hatte, Achtung geworden war. Als er erkannt hatte, daß sie allein von ihnen ein Ziel hatte, ihrem Leben einen Sinn zu geben wußte. Als er ihre Erschütterung über den Tod des Kindes gesehen hatte, das an der Diphtherie gestorben war, als er gesehen hatte, wie unverdrossen sie an ihrer Arbeit festhielt, die häufig desillusionierend und niederdrückend sein mußte. Selbst jetzt, wenn er an sie dachte, wie sie klein und eigensinnig in ihrem grünen Samtmantel durch die schlimmsten Viertel Londons stapfte, zog sich ihm das Herz zusammen, und er wünschte sich, er könnte sie in den Arm nehmen, sie schützen, ihr Wärme und Geborgenheit geben.
    Aber Robin liebte Francis. Und er hatte nichts.

9
     
    Hugh hatte Ferien und fuhr mit Helen nach Ely, um Weihnachtseinkäufe zu machen. Sie kaufte Wolle für Geschenke für die Mädchen und den Gärtner und Glasaugen für die Kuscheltiere, die sie für die kleinen Mädchen im Dorf gemacht hatte. Hughs Geschenk – einen warmen Schal – hatte sie schon fertig, und ihrem Vater strickte sie jedes Weihnachten neue Handschuhe und Socken. Vor dem Schaufenster eines Spielzeugladens stehend, versuchte sie sich auszurechnen, wieviel sie noch für die Jungen im Dorf ausgeben konnte. Verstohlen sah sie in ihr Portemonnaie und zählte mühsam die Münzen. Die Ballons kosteten einen Penny das Stück, das war einfach, aber die Blechautos, die alle kleinen Jungen liebten, kosteten zwei Pence und drei Farthings. Es gab fünf kleine Jungen in Thorpe Fen. Sie konnte es nicht ausrechnen.
    »Helen?« Sie sah zu Hugh hinauf. Beim Ausdruck seiner Augen bekam sie weiche Knie.
    »Kann ich dir helfen?«
    Sie wurde rot, wußte aber nicht, ob aus Scham über ihre Dummheit oder wegen seines Blicks. »Ich weiß nicht, wieviel Geld ich noch hab, Hugh«, platzte sie heraus. »Könntest du es mir zählen?«
    Sie schüttete den Inhalt ihrer Börse in seine Hände, und innerhalb von Sekunden sagte er: »Du hast zehn Shilling und fünf Pence, Helen. Was mußt du noch alles besorgen?«
    Sie kauften die kleinen Geschenke gemeinsam, sie wählte aus, und Hugh zählte zusammen und bezahlte. Als sie aus dem Geschäft hinausgingen, sagte sie, immer noch verlegen: »Du mußt mich für eine Vollidiotin halten.«
    Er faßte sie beim Ellbogen und hielt sie auf. »Niemals, Helen«, sagte er. »Niemals.«
    Sie gingen zum Wagen zurück, sie mit einer Art angstvoller Erregung. Sie hatte sich vorgenommen, daß sie heute mit Hugh sprechen würde, hatte es aber immer wieder aufgeschoben, so daß jetzt nur noch die Heimfahrt Gelegenheit bot. Eine Zeitlang fuhren sie schweigend. Eine Gänseschar flog in Keilformation über ihnen hinweg; das Schilf und das Eis an den Rändern der Gräben waren reifweiß. In der vergangenen Woche hatte es stark geregnet, und durch die Felder zogen sich Streifen gefrorenen Wassers.
    Hugh brach schließlich das Schweigen. »Wie geht es deinem Vater, Helen?«
    »Er hält jetzt wieder alle Gottesdienste. Aber Dr. Lemon sagt, er hat ein schwaches Herz.«
    »Dann fängst du wohl nicht wieder zu arbeiten an?«
    Sie schüttelte den Kopf. Als sie vor wenigen Wochen mit ihrem Vater über die Möglichkeit gesprochen hatte, ihre Arbeit wiederaufzunehmen, war er aschfahl geworden und hatte den Rest des Tages ruhen müssen.
    Hugh lächelte teilnahmsvoll. »So ein Pech.«
    Sie wußte, daß sie endlich sprechen mußte. Sie berührte seinen Arm. »Halt doch mal einen Moment an, Hugh.«
    Er bremste und brachte den Wagen am Straßenrand zum Stehen. In diesem Moment war Helen von einer seltenen Zuversicht erfüllt, gewiß, daß das, worauf sie sich einlassen wollte, absolut richtig war. Sie stieg aus dem Wagen, und Hugh folgte ihr. Am Rand eines Grabens, in dem starr das gefrorene Schilf stand, blieben sie stehen.
    »Ich wollte dir nur sagen«, begann sie, »daß du dir Daddys wegen keine Sorgen zu machen brauchst. Nicht der Gedanke meiner Heirat erschreckt ihn, sondern die Vorstellung, ich könnte von zu Hause weggehen.«
    Er machte ein verwirrtes Gesicht, und sie erkannte, daß sie sich nicht klar genug ausgedrückt hatte.
    »Ich meine – das Pfarrhaus ist doch so groß. Und du könntest mit dem Wagen zur Schule fahren, nicht wahr? Ich brauchte nicht von zu Hause fortzugehen.«
    Sie und Hugh

Weitere Kostenlose Bücher