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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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konnten das Gästezimmer mit dem anschließenden Salon nehmen, und Helens jetziges Zimmer konnte einmal das Kinderzimmer werden. Ein zweiter Mann im Haus würde Daddy sicher willkommen sein.
    Hugh sagte leise: »Helen …?«, und sie antwortete lächelnd: »Ja, liebster Hugh?«
    Dann sah sie ihm ins Gesicht und erkannte sofort, daß sie alles falsch verstanden hatte. In seinen geliebten Augen standen weder Liebe noch Freude, sondern Mitleid. Sie hatte das Gefühl, der Boden täte sich unter ihr auf, und wäre in diesem entsetzlichen Moment am liebsten gestorben.
    »Helen«, sagte er. »Helen, ich habe dich sehr gern, aber –«
    »Aber du liebst mich nicht.« Sie wußte nicht, woher sie den Mut nahm, es auszusprechen.
    »Doch, doch.« Seine Stimme war sehr liebevoll. »Aber nicht auf diese Art.«
    Sie sah auf die gefrorenen Wiesen hinaus und wußte mit grauenvoller Sicherheit, daß dies ein Wendepunkt in ihrem Leben war und daß sie nie wieder dieselbe sein würde.
    »Es ist doch klar, daß ich dich liebe, Helen. Du bist meine Freundin. Du bist schön, du bist ein wunderbarer Mensch, du wirst einmal einen Mann sehr glücklich machen. Aber ich bin nicht der Richtige für dich. Es tut mir leid, wenn ich dir den Eindruck vermittelt habe, daß …«
    Ihr war, als würde sie von einem Messer durchbohrt. »Warum?«
    Schweigen. Dann: »Weil ich eine andere liebe.« Ein einziger kurzer Satz, der auch die letzte Hoffnung zerstörte. Stumm fragend starrte sie ihn an. Aber plötzlich begriff sie und sagte: »Maia.«
    Er senkte den Kopf. »Ich liebe sie seit – oh, seit Jahren. Seit ich sie das erstemal gesehen habe. Ich weiß, daß es aussichtslos ist.«
    Einen Moment lang vergaß sie beinahe ihr eigenes Unglück und ihre eigene Beschämung. Aber dann sah sie, daß diese Situation unerträglich war, und wollte nur noch das bißchen Würde bewahren, das ihr noch geblieben war. »Bitte bring mich nach Hause, Hugh«, sagte sie.
    Sie sprachen kaum etwas auf der Fahrt. Als sie das Pfarrhaus erreichten, tat er ihr nicht die Beleidigung an, sie zu bitten, weiter seine Freundin zu bleiben, sondern wartete nur, bis sie ihre Taschen aus dem Wagen geholt hatte und zum Haus ging.
    Drinnen hängte sie mit zitternden Händen Hut und Mantel auf. Aus der Küche rief Betty: »Das Mittagessen ist gleich fertig, Miss Helen«, aber sie antwortete nicht, sondern lief die Treppen hinauf in den Speicher und rannte oben durch die Düsternis zu dem kleinen, kahlen Mansardenzimmer.
    Sie weinte nicht. Sie hockte sich mit hochgezogenen Beinen in eine Ecke, den Kopf auf den Knien, die Fäuste auf ihre Augen gedrückt. Sie wußte, daß die Erinnerung an ihr Gespräch mit Hugh sie ihr Leben lang nicht mehr loslassen würde; daß die Scham nicht nachlassen, sondern in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten nur quälender werden würde. Fröstelnd wiegte sie sich vor und zurück, und es machte ihr nichts aus, daß sie dabei mehrmals mit dem Kopf gegen die Mauer schlug.
    Du stehst auf der Liste, hatte Francis zu ihr gesagt. Robin hielt sich von ihm fern, da sie wußte, daß diese wenigen Worte sie in einen Zustand gläserner Zerbrechlichkeit versetzt hatten. Sie hatte nicht gewußt, daß er solcher Herzlosigkeit fähig war. In den schmerzlichen Tagen nach Viviens Hochzeit war sie gezwungen anzuerkennen, daß Francis zwei Seiten hatte: die eine, die witzig, intelligent und zärtlich war und die sie ohne Vorbehalt liebte, und die andere, die dunkle Seite, die sowohl launisch als auch boshaft war. Sie wurde sich bewußt, daß auch sie selbst sich verändert hatte – sie, die stets überzeugt gewesen war, daß kein Mann je ihr Innerstes würde berühren, geschweige denn verletzen können. In dem vergeblichen Bemühen, ihren Schmerz in Arbeit zu ertränken, stürzte sich Robin wieder in die Arbeit an ihrem Buch. Das fertige Manuskript mußte bis Ende März beim Verlag sein.
    Der ganze Tag, die Geschäftigkeit, zu der sie sich zwang, war nichts als ein Versuch, nicht an Francis zu denken. Ohne Francis hatte sie mehr Zeit, die Zeitungen zu lesen und Radio zu hören. Sie las von den Ereignissen in Deutschland, die für sie nur einen Schluß zuließen – daß das Undenkbare wieder geschehen, daß es einen neuen Krieg in Europa geben konnte. Sie hätte gern getan, was die meisten taten, vorgeben, es sei nichts als Schwarzseherei, aber sie zwang sich, Briefe zu schreiben, auf Versammlungen zu gehen, Reden zu halten, und war sich dabei immerzu eines kalten,

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