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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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zurückzuziehen, ihren Stolz nicht antasten zu lassen, war stärker. Seine kalten, glitzernden grauen Augen glitten mit der gleichen gewollten Gleichgültigkeit über sie hinweg wie über Vivien. Sie sah, wie seine Entourage ihm bei jedem neuen Schritt über die Grenzen der Höflichkeit hinaus applaudierte und ihn anstachelte. Sie sah, wie Vivien zu ihm ging und mit ihm sprach und er langsam, wie mit Genuß, den Kopf schüttelte, als er ihr verwehrte, worum sie ihn gebeten hatte. In dem Moment tat Vivien ihr beinahe leid. Vivien schien ihr arglos, auf eine kindliche Art unfähig, die Folgen ihrer Handlungen zu bedenken. Francis hatte es geschafft, Vivien aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit zu verdrängen und sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Was für eine Rache, dachte Robin, die das nicht länger mit ansehen konnte.
    Sie ging, wanderte von Zimmer zu Zimmer, bei keiner der kleinen Gruppen fremder Menschen willkommen. Sie wußte, als sie an sich hinuntersah, daß sie sich nicht richtig angezogen hatte. Sie hätte das grüne Seidenkleid nehmen sollen, das Maia ihr geschickt hatte, nicht das terracottabraune mit der Stickerei. Diese Leute beurteilten einen nach dem Äußeren, und ein wegwerfender Blick hatte ihnen genügt festzustellen, daß es sich nicht lohnte, mit ihr zu sprechen. Ich sollte nach Hause fahren, dachte Robin. Unmöglich, weitere zwölf Stunden in diesem Haus zu verbringen, das ihr so fremd geworden war. Sie sah, daß es draußen dunkel geworden war. Das Licht aus den Fenstern entzündete die Unkräuter, die im Hof zwischen den Steinplatten wucherten, mit feurigem Glanz. Long Ferry, dieses schöne, langsam verfallende alte Haus, hatte mit ihr und Francis zu tun. Er konnte das nicht einfach alles wegwerfen. Sie würde es nicht zulassen.
    Im Ballsaal zurück, sah sie, daß er einen hohen Turm aus Champagnerschalen errichtet hatte. Er goß Champagner bis zum Überfließen in das oberste Glas, um ihn in Kaskaden in die Schalen darunter strömen zu lassen. Aber seine Hand zitterte. Er stieß das Glas um. Das unsichere Bauwerk geriet ins Wanken, stürzte ein, und die Gläser schlugen klirrend zu Boden. Ihre Scherben bedeckten ihn wie Diamantsplitter. Francis' Anhänger lachten und applaudierten begeistert, doch Robin sah das Erschrecken in seinem Blick. Durch Scherben und Champagnerpfützen steigend, ging sie zu ihm.
    »Francis – wir sollten fahren.«
    »Fahren?« Er versuchte sie ins Auge zu fassen. »Bestimmt nicht. Ich amüsiere mich königlich.«
    »Wir können zu Fuß zum Bahnhof gehen«, drängte sie. »Wir können noch den letzten Zug erreichen.«
    »Ich will aber den letzten Zug nicht erreichen. Ich hab dir doch gesagt – ich amüsier mich. Diese Leute hier –«, er machte eine umfassende Armbewegung, »– sind meine Freunde.«
    »Und was bin ich, Francis?« Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, hätte sie sie gern zurückgenommen aus Angst vor seiner Antwort.
    »Du?« Zum erstenmal schien er sie wahrzunehmen. Aus trunkener Verwirrung wurde boshafte Belustigung. »Du stehst auf der Liste, Robin«, sagte er sehr klar. »Keine Angst.«
    Ohne zu überlegen, hob sie die Hand, um ihm in dieses schöne, beleidigende, betrunkene Gesicht zu schlagen. Und als sie mitten in der Bewegung innehielt, ihre Hand nur noch Zentimeter von seiner Wange entfernt, begann er zu lachen. Er hörte nicht auf zu lachen, auch nicht, als er langsam an der Wand abwärtsglitt, bis er in einer Pfütze aus Champagner und Glasscherben hockte.
    Robin rannte aus dem Haus, nachdem sie ihren Mantel aus der Garderobe geholt hatte. Erst als sie schon auf halbem Weg zum Bahnhof war, bemerkte sie, daß aus ihrer Fußsohle Blut quoll. Eine der Scherben hatte die dünne Samtsohle ihres Schuhs durchbohrt.
    Am Wochenende schlug Maia alle Einladungen aus und fuhr in die Fens. Sie holte Helen aus Thorpe Fen ab, wobei sie dem ranzigen alten Pastor gegenüber ihren ganzen Charme spielen ließ (Mr. Ferguson schlug, wie Maia schon vor langer Zeit mitbekommen hatte, einer hübsch gekleideten jungen Frau niemals einen Wunsch ab), und brauste dann weiter nach Blackmere Farm zu Hugh.
    Sie verbrachten den Nachmittag in Ely, sahen sich im Kino kichernd einen gräßlichen Film an und aßen hinterher Brötchen und Cremetörtchen in einem kleinen Tea-Room. Maia unterhielt sie mit Anekdoten aus der Firma und brachte sie mit einer schrillen Nachahmung Madame Wiltons, der Leiterin der Damenoberbekleidungsabteilung, zum Lachen. Als sie wieder aus

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