Das Winterhaus
lähmenden Grauens bewußt. Nicht viele hörten ihr zu; manche versuchten sie mit Zwischenrufen aus dem Konzept zu bringen. Sie holte sich eine Erkältung und verlor die Stimme, aber sie machte hartnäckig weiter, verbreitete krächzend eine Botschaft, die wenige hören wollten. Ihr Leben löste sich in Chaos auf. Eine kleine Krise jagte die andere. Sie ließ ihre Unterlagen im Bus liegen und rannte einen ganzen Tag lang von Fundbüro zu Fundbüro. Alle Lewis-Kinder bekamen die Masern, und drei anstrengende Nächte lang half sie Mrs. Lewis bei ihrer Pflege: Die Mutter der Damen Turner starb; da der Tod in einer Séance angekündigt worden war, wurde das Haus in Schwarz ausgeschlagen, noch bevor das Telegramm eintraf. Die beiden Damen verschwanden in Essex, um die Vorbereitungen für die Beerdigung zu treffen, und hinterließen komplizierte Anweisungen – an Peggy hinsichtlich der Pflege der Wellensittiche und an Robin bezüglich des Durchlauferhitzers, den zu betreuen sie das Mädchen offensichtlich für unfähig hielten.
Sie schlug sich gerade mit diesem launischen Gerät herum, als es draußen klopfte. Peggy öffnete, und Robin hörte Francis' Stimme. Sie mußte husten, und die Gasflamme, die sie gerade mit viel Mühe zum Brennen gebracht hatte, flackerte einmal und ging aus. Dann öffnete sich die Tür, und da stand er und sah sie an. Das Mädchen stand hinter ihm und starrte ihn mit halboffenem Mund und bewundernden Kuhaugen an.
»Gehen Sie ruhig nach Hause, Peggy«, sagte Robin, als der Hustenanfall nachgelassen hatte. »Ich mach das hier schon.«
»Wenn du möchtest, daß ich verschwinde«, sagte Francis, als sie allein waren, »dann gehe ich sofort.«
Sie zuckte die Achseln. Ihrer eigenen Reaktion unsicher, wagte sie nicht, etwas zu sagen. Sie war gekleidet wie ein Eskimo, da es im Haus so kalt war, und sie wußte, daß sie eine rote Nase hatte und ihre Augen tränten. Sie ärgerte sich, daß er genau zu einem Zeitpunkt erschien, da sie so aussah. Wie das Leiden Christi persönlich. »Ich bin gekommen, um dir zu sagen – ach verdammt …« Francis schnitt eine Grimasse. »Ich wollte dir sagen, daß es mir leid tut.«
»Ach, es tut dir leid?« Sie krampfte vor Zorn ihre Hände ineinander.
»Ich weiß ja.« Ohne die üblichen Stützen seines Selbstbewußtseins, Zigaretten, Alkohol, Menschen, wirkte er merkwürdig wehrlos. »Ziemlich schwach, nicht? Worte sind so dürftig.«
Plötzlich sehr müde, setzte sie sich an den Tisch und stützte den Kopf in die Hände.
»Ich wollte jemanden verletzen«, sagte er. »Aber ich hätte Vivien verletzen sollen, nicht dich.«
»Alles sehr freudianisch, Francis.« Ihr Ton war sarkastisch, und sie sah, wie er zusammenzuckte.
»Ich habe mich abscheulich benommen, das weiß ich. Wenn es dir ein Trost ist, ich mag mich selbst auch nicht besonders.«
Sie hatte den Eindruck, daß er die Wahrheit sagte. Seine Stimme war tonlos, seine Bewegungen waren sparsam. Die glitzernde Fassade von Selbsttäuschung und ewigen Ausflüchten war gesprungen. Er sagte leise: »Ich konnte es einfach nicht glauben, daß sie dieses Schwein wirklich heiraten würde. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich habe ihr extra Geld geschickt, damit sie es nicht tun müßte. Er wird sie nicht mal glücklich machen.«
Viviens Glück interessierte sie in diesem Moment nicht im geringsten. »Ich lasse mir das nicht gefallen, Francis«, sagte sie heftig. »Hast du mich verstanden? Ich lasse mich nicht benutzen.«
Er senkte den Kopf. In der Stille, die folgte, merkte sie, daß sie dem Weinen nahe war.
Dann sagte er: »Am Tag vor der Hochzeit war ich bei Theo Harcourt. Du weißt ja, daß er Kaos gekauft hat. Er hat mir mitgeteilt, daß er die redaktionelle Leitung der Zeitschrift jemand anderem gibt – nicht mir. Mir fehlt anscheinend der nötige Name .« Francis' Ton war bitter.
Robin sah ihn entsetzt an. Sie wußte, wieviel ihm die Zeitschrift bedeutete. Fröstelnd sagte sie: »Diese fürchterliche Kälte …«
»Ja, es ist ganz schön kalt hier. Wie hältst du das aus?«
»Peggy hat vergessen, Feuer zu machen, und ich hab den Durchlauferhitzer ausgehen lassen. Das Ding ist unberechenbar. Ich sollte Joe mal holen.« Ihr wurde bewußt, daß sie Joe seit den Tagen vor Viviens Hochzeit nicht mehr gesehen hatte.
»Laß mich mal versuchen.«
Jetzt erst fiel ihr auf, wie gut Francis gekleidet war: Anzug, sauberes Hemd mit Krawatte, ordentlicher Mantel. Sein helles lockiges Haar war anständig
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