Das Winterhaus
Alters, mit schütterem Haar und ausgemergelten Körpern, auf dem schmutzigen Linoleum wälzten. In der Nacht, in der Dunkelheit, erwachte er von der Berührung einer Hand, die seinen Körper streichelte, aus unruhigem Schlaf. Er roch heißen, stinkenden Atem und sprang so schnell in die Höhe und fluchte so laut, daß die meisten anderen Männer im Schlafsaal erwachten. Sein Verführer verzog sich eilig. Sein Gesicht bekam Joe nie zu sehen.
Am folgenden Tag stahl er auf einem Markt eine Pastete. Als er sie hinunterschlang, sah er sein Spiegelbild in einem Schaufenster. Wirres, langes Haar, weißes Gesicht, abgerissene Kleider.
Da wußte er, daß er keine andere Möglichkeit mehr hatte. Vor nahezu acht Jahren hatte er seinem Vater getrotzt und sein Zuhause verlassen, um sich ein eigenes Leben aufzubauen. Er war gescheitert; er hatte es zu nichts gebracht. Er wußte nicht, wie sein Vater ihn, den verlorenen Sohn, aufnehmen würde, aber um die tiefe Scham, die er beim Anblick seines Spiegelbilds in diesem Schaufenster empfand, kam er nicht herum. Er schwang seinen Rucksack auf den Rücken und machte sich auf den Weg zur Straße nach Norden.
In der Vorweihnachtszeit wurde Maia mit Einladungen zu Tanzfesten und Diners überschüttet. Sie gehörte jetzt mit ihren dreiundzwanzig Jahren zur jeunesse dorée von Cambridge. Eine Soiree, eine Cocktail-Party war nur dann ein voller Erfolg, wenn Maia Merchant mit von der Partie war. Es war ihr gelungen, aus ihren Handicaps – daß sie Witwe war und außerdem Karrierefrau – eine Quelle der Faszination zu machen. Manchmal erschien sie sogar ohne Begleiter, was gleichermaßen Mißbilligung wie Bewunderung erregte.
Zu Silvester war sie zu einem Ball in Brackonbury House eingeladen, nördlich von Cambridge, nicht weit von Thorpe Fen, wo Helen lebte. Auf der Fahrt durch die mondbeschienene Marschlandschaft wurde Maia sich bewußt, daß sie Helen seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte. Sie hatte ihr einmal die Woche geschrieben, wie sie das immer tat, aber sie hatte nur kurze, wenig mitteilsame Antworten erhalten.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag, an dem sie, Robin und Helen sich normalerweise in Robins Winterhaus trafen, war Helen nicht dagewesen. Sie hatte mit einer Erkältung zu Bett gelegen. Als Maia jetzt zum Fenster hinaus auf die dunkle, konturlose Landschaft blickte, hatte sie einen Anflug von schlechtem Gewissen. Sie würde Helen bald einmal besuchen müssen. Nicht am kommenden Wochenende, das war das erste des Monats, das sie immer allein verbrachte, und auch nicht am Wochenende danach, da begann der Winterschlußverkauf. Aber bald.
Es war ein Kostümfest. Maia hatte sich als Columbine gekleidet, mit einem weiten gestreiften Rock und schwarzem Mieder und Blumen im Haar. Die Lichter von Brackonbury House, das auf einer der kleinen Anhöhen stand, die die Fens sprenkelten, leuchteten über Wiesen und Felder wie die Lichter eines Schiffes auf ruhiger, dunkler See.
Maia hatte diese Einladung allen anderen vorgezogen, weil Brackonbury House der Besitz von Lord und Lady Frere war, die zum Landadel gehörten. Die Vorstellung, daß sie, deren Seidenstrümpfe einst fast nur Flickwerk gewesen waren, an diesem Abend mit dem Adel an einem Tisch sitzen würde, faszinierte sie. Drinnen schüttelte sie erst einmal ihren Begleiter ab, einen netten, aber langweiligen Mann, und widmete sich dann ganz ihrem Amüsement. Schon eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft waren alle Tänze auf ihrer Karte gebucht, und wo immer sie ging und stand, war sie von einem Schwarm von Verehrern umgeben. Die attraktivstes, die geistreichsten, die reichsten Männer, alle sprachen sie an diesem Abend irgendwann einmal mit Maia. Sie tanzte den Tango mit einem draufgängerischen Piraten und bekam einen Heiratsantrag von einem Teddybären mit einer knallroten Schleife um den Hals. Lord Freres neunzehnjähriger Sohn Wilfred verfolgte sie mit der treuen Anhänglichkeit eines Cockerspaniels.
Beim Diner saß sie zwischen einem Hauptmann des Garderegiments, der als Harlekin verkleidet war, und einem Parlamentsmitglied, der sich als Charlie Chaplin gefiel. Der Champagner sprudelte üppig, und Maias Glas war niemals leer.
Zwischen einigen jungen Männern kam es zu einer Prügelei, die damit endete, daß ein halbes Dutzend von ihnen in den eiskalten Brunnen im Park getunkt wurden. Die Deckenbeleuchtung im Ballsaal wurde ausgemacht, so daß der große Raum nur noch von Wandleuchtern erhellt wurde. Licht und Schatten
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