Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
Arm bieten – um ihn zu stützen oder aus anderem Grund. Aber sie berührten einander nicht, und Joe, der sich voll bekleidet aufs Bett fallen ließ und beinahe sofort einschlief, sagte sich, er müsse sich geirrt haben.
    Als er am nächsten Morgen erwachte, sah er, daß jemand – Annie, vermutete er – ihm die Stiefel und die Jacke ausgezogen und ihn mit einer dicken Steppdecke zugedeckt hatte. Er blieb noch einen Moment liegen, ein wenig verwirrt, benommen von Schlaf und Müdigkeit. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, doch die Sonne schien hell zum Fenster herein. Das Zimmer war vertraut und doch fremd: all seine Sachen – seine Bücher, seine Klaviernoten, die arg mitgenommene Modelleisenbahn seiner Kindheit – waren noch hier, und doch konnte er irgendwie nicht glauben, daß sie ihm je gehört hatten.
    Er quälte sich aus dem Bett und ging durch den Korridor ins Badezimmer. Er ließ sich ein tiefes, heißes Bad einlaufen und begann seine dreckstrotzenden Kleider abzulegen. Seine Füße waren über und über wund und voller Blasen. Auf seinem Oberkörper hatte er rote Flecken, die er für Flohbisse hielt. Er ließ sich bis über den Kopf in das warme Wasser sinken und von der Hitze einhüllen.
    Als er sich ankleidete, nahm er einiges von seinen eigenen alten Sachen und einiges aus Johnnies Schrank. Schuhe oder Stiefel, die ihm gepaßt hätten, fand er keine, aber seine Füße taten so weh, daß er wahrscheinlich sowieso keine hätte anziehen können. Wiederum unter mißbilligendem Zungenschnalzen verarztete Annie sie mit Desinfektionsmittel und legte dann Scharpie auf. Eines der Mädchen machte ihm ein bombastisches Frühstück mit Eiern und Schinken und Würstchen und Blutwurst, und nachdem er gegessen hatte, humpelte er eine Weile im Haus herum. Es hatte sich kaum etwas verändert. Elliot Hall war immer schon unnötig groß und unnötig häßlich gewesen, voll von häßlichen und unnützen Dingen wie Likörschränkchen und Tafelaufsätzen. Er setzte sich hin, um die Zeitung zu lesen, und schlief von plötzlicher Müdigkeit überkommen wieder ein. Der Duft von Keksen und Kuchen weckte ihn. Das Mädchen – sie war neu, und er kannte sie nicht – stellte eine Kanne Tee neben die Platten und ging wieder. Gierig machte sich Joe darüber her.
    Später spielte er auf dem Stutzflügel, der seiner Mutter gehört hatte. Er war außer Übung und vertat sich oft, aber er ließ nicht locker, und es wunderte ihn, wieviel er noch im Kopf hatte. Er war mitten in einem Chopin-Nocturne, einem Lieblingsstück seiner Mutter, als er merkte, daß er nicht mehr allein war. Er hielt im Spiel inne und drehte sich um und sah seinen Vater.
    »Ja, ja«, sagte John Elliot, »für so was hast du immer schon eine Begabung gehabt.« Er sagte es in einem Ton, fand Joe, als wäre das Klavierspiel ein Laster.
    Joe stand auf und klappte den Deckel des Instruments zu. »Du bist früh zurück, Vater.«
    »Tja, hm … die Geschäfte gehen schlecht. Sehr schlecht. Wir arbeiten nur eine Schicht.«
    Das überraschte Joe. Dumm, sagte er sich sogleich, zu glauben, die Spinnerei Elliot wäre gegen die Auswirkungen der Depression gefeit. Als er aufsah, bemerkte er, daß der Blick seines Vaters auf seinen bloßen, bandagierten Füßen haftete. »Aber Schuhe kann ich mir noch leisten«, murmelte er. »Ich muß jetzt eine Pfeife rauchen. Komm mit ins Wohnzimmer, Joe. Sie hat Tabak hier drinnen nie gemocht.«
    Sie verließen den kleinen hübschen Salon und gingen ins Wohnzimmer, einen riesigen Raum mit Säulen, völlig maskulin, auf den das Wort »Wohnzimmer« überhaupt nicht paßte. John Elliot zündete sich seine Pfeife an, ein wahres Ungetüm, und als sie richtig zog, sagte er: »Da ist eine Zigarre, mein Junge. Oder ich hab auch noch eine Pfeife.«
    »Hast du vielleicht Zigaretten?«
    Der Ausdruck der Mißbilligung kehrte zurück. »Diese albernen kleinen Dinger. Hab ich nie gemocht. Das ist was für Frauen – aber na ja, jedem das Seine. Ich laß den Knecht welche holen.«
    Joe sagte zornig: »Ich hab kein Geld, Dad«, und sein Vater meinte: »Das hab ich mir schon gedacht. Aber ich rechne mit Thwaites immer am Monatsende ab, falls du dich erinnerst. Und eine Packung Zigaretten kann ich dir schon mal spendieren. So, und jetzt gieß uns was zu trinken ein, Joe, und hör auf, so rumzuzappeln.«
    Sie tranken Scotch und rauchten. Das Schweigen zwischen ihnen schien Joe geladen mit all den Dingen, die unausgesprochen blieben. Erst später, beim

Weitere Kostenlose Bücher