Das Winterhaus
spielten auf den Gesichtern der Tanzenden und ließen ihre grelle Bemalung noch grotesker wirken.
Maia empfand eine ungeheure Genugtuung, als Lord Frere selbst sie zum Tanz bat, doch als sie am Ende des Tangos beieinanderstanden und er seine Finger ihren Rücken hinunterwandern ließ, entschuldigte sie sich hastig und floh zur Toilette. Auf dem Weg die Treppe hinauf stieg sie vorsichtig um eine junge Frau herum, die schluchzend am Geländer hockte. Sie mußte rasch zwei Gläser Champagner hintereinander trinken, um den Mut aufzubringen, wieder in den Ballsaal zurückzukehren, aber da war es Mitternacht geworden, und alle umarmten sich und sangen Auld Lang Syne. Sie war hinreichend betäubt von Alkohol, um die Umarmungen ihrer Verehrer mit Enthusiasmus aufzunehmen. Plötzlich fühlte sie sich stark und beschwingt. Sie war eine unabhängige Frau mit Geld auf der Bank, einem großen Haus und einem Schrank voll schöner Kleider. Ihre Firma war auf dem besten Weg, die schlimmste Rezession des Jahrhunderts gesund zu überleben. Sie hatte wieder Eingang in die Gesellschaft gefunden.
Da sagte hinter ihr auf einmal jemand höflich: »Mrs. Merchant?«, und sie drehte sich herum. »Draußen ist ein Herr, der Sie sprechen möchte«, sagte das Mädchen in Schürzchen und Häubchen.
Sie folgte ihr aus dem Saal in den Salon. Am Fenster wartete Liam Kavanagh. Ihre erste Freude darüber, ihn zu sehen, verflog, als sie sein ernstes Gesicht sah. Sie hatte plötzlich Angst; Gedanken an einen Brand oder Einbruch schossen ihr durch den Kopf.
»Liam? Was ist denn?«
Er schloß die Tür. Dann zog er eine Zeitung aus seiner Manteltasche.
»Ich hielt es für besser, Ihnen das zu zeigen, ehe es jemand anders tut.« Er hielt ihr die Zeitung mit der Titelseite nach oben hin.
Es war die Cambridge Evening News , und die Schlagzeile lautete: »Mann verliert Arbeit und geht ins Wasser.«
Sie nahm die Zeitung und las. Edmund Pamphilon – nach zwanzig Jahren treuer Dienste im Kaufhaus Merchant gekündigt … seine chronisch kranke Ehefrau … eine Anhäufung hoher Arztrechnungen … Eine Fotografie von Mr. Pamphilon zeigte sein ewiges, wohlwollendes Lächeln, und eine zweite Fotografie zeigte den Teil des Cam, wo man die Leiche gefunden hatte. Das Wasser wirkte sehr schwarz und sehr kalt.
»Aber sie wissen doch gar nicht …«, flüsterte sie, Liam anstarrend. »Selbstmord … sie können doch gar nicht wissen … wie können sie so sicher sein?«
Es gelang ihr, mit dem Gebrabbel aufzuhören. Sie glaubte, Anteilnahme in Liams Augen zu sehen, als er sagte: »Nein, sie wissen es natürlich nicht. Die Reporter waren ziemlich vorschnell – der Leichnam wurde erst heute gefunden. Aber sie haben sich umgehört, einige Leute angerufen, und es scheint kaum Zweifel zu geben.«
Das konnte ich doch nicht wissen, wollte sie sagen, doch die Erinnerung an ihre eigenen Worte brachte sie zum Schweigen: »Mr. Pamphilons Privatangelegenheiten sind nicht meine Sache, Liam.« Sie ging, ohne sich von den Gastgebern zu verabschieden. Während sie auf das Mädchen wartete, das ihren Mantel holte, sah sie, wie billig und albern die kostümierten Menschen waren. Der Pirat hatte einen Schmerbauch, und die Schminke des Clowns war völlig verschmiert. Das Haus war riesig und alt, aber an den Wänden waren helle Rechtecke, wo einmal Gemälde gehangen hatten, die man hatte verkaufen müssen, um die Steuern bezahlen zu können.
Auf der langen Fahrt nach Hause gelang es Maia beinahe, die schrillen Stimmen zum Schweigen zu bringen. Der Satz »Jetzt sind es drei« dröhnte ihr wie Trommelwirbel im Kopf.
Sie hatte den beiden Dienstboten, die im Haus lebten, gesagt, sie brauchten nicht auf sie zu warten. Nachdem sie ihren Pelz aufs Sofa geworfen hatte, goß sie sich einen großen Gin ein und ließ sich ein Bad einlaufen. Sie streckte sich im parfümierten Wasser aus. Columbines Gewänder lagen in einem armseligen Häufchen auf den Fliesen. Hinterher trocknete sie sich ab, schlüpfte in ihr Nachthemd und ging zu Bett.
Sie schlief mühelos ein, aber in den frühen Morgenstunden überfielen sie die Alpträume. Ein drückendes Gewicht lag auf ihrer Brust, und sie versuchte zu schreien. Augen starrten sie an – kleine, rötlich schimmernde Fuchsaugen. Vernons Augen. Selbst als es ihr endlich gelang, sich aus dem Schlaf zu befreien, konnte sie diese Augen noch sehen. Altbekannt und voller Vorwurf, rund um die Ränder weiß bereift, als wären sie in den Jahren seit seinem
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