Das Winterhaus
gewesen.
Sie vermißte Joe, und sie vermißte Francis. Sie vermißte das Leben, das sie in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft in London geführt hatte, als alles noch heiter und vergnügt gewesen war. Jetzt, so schien es, war nichts mehr heiter und vergnügt. Sie wußte nicht, was sie mit Francis machen sollte. Keiner konnte ihr Leben verwandeln wie er, und keiner konnte sie verletzen wie er. Obwohl er keinen Zweifel daran gelassen hatte, daß er sie wiedersehen wollte, gab es in ihr einen Teil, der sich zurückziehen und alle neuerlichen Verletzungen vermeiden wollte.
Ihre Arbeit war zu einem formlosen Monster geworden, das sich nicht zähmen lassen wollte. Als Dr. Mackenzie sie fragte, wie es vorwärtsgehe, schnauzte sie ihn an. Als er meinte, sie sei offensichtlich müde und solle sich ein paar Tage frei nehmen, stürmte sie aus seinem Büro.
Aus Ärger über ihn und aus Angst vor gönnerhafter Herablassung mied sie ihn und ging nur noch in unregelmäßigen Abständen in die Klinik. Sie besuchte immer noch die Versammlungen der Labour Party, und jedesmal wartete sie unwillkürlich darauf, daß Francis und Joe erscheinen und sich geräuschvoll und tuschelnd neben ihr niederlassen würden. Sie behielt ihren Posten als Schriftführerin der Kriegsgegnergruppe, war sich aber bewußt, daß ihre Vorträge pessimistisch und ohne Schwung waren. Die Nachrichten aus Deutschland beunruhigten sie tief; sie brachte es kaum über sich, die Zeitungen zu lesen.
Als Robin eines Abends von der Familie Lewis heimkehrte, verpaßte sie ihren Bus, und da ihr die Untergrundbahn zur Hauptverkehrszeit ein Greuel war, ging sie zu Fuß nach Hause. Als sie in Hackney war, begann es zu regnen. Der feine Nieselregen, kaum mehr als feuchter Dunst, drang durch alle ihre Kleider und kühlte sie aus. Es war dunkel, und sie verlief sich, erkannte jedoch nach einer Weile die Duckett Street und ging weiter zum Navigator. Als sie eintrat, begrüßten sie die Pfiffe und Zurufe der Männer, die den Schankraum besetzt hielten. Ohne auf sie zu achten, drängte sie sich zur Bar durch.
Sie blickte den Tresen hinauf und hinunter, konnte Joe aber nirgends entdecken. Eine Bedienung kam auf sie zu. Robin sagte hastig: »Ich suche Joe Elliot. Er arbeitet hier.«
Die Frau zuckte die Achseln. »Stanley«, rief sie einem kräftigen Mann am anderen Ende des Tresens zu, »arbeitet hier ein Elliot?«
»Früher mal«, antwortete der Mann. »Jetzt nicht mehr.«
Robin war verwirrt. »Joe hat aufgehört?«
»Hab ihn rausgesetzt.«
Sie starrte ihn an. »Wann? Warum denn?«
»Vor sechs Wochen. Wegen einer Prügelei.«
»Joe hat sich geprügelt?«
»Ganz recht, Kleine. Mit einem von seinen Kumpeln. Ich hab die zwei eigenhändig trennen müssen. Geht doch nicht, daß mein eigenes Personal hier Krawall macht.«
Sie dachte an die leere, stille Wohnung. »Dieser Freund«, sagte sie zögernd, »war er blond – im gleichen Alter wie Joe?«
Der Wirt nickte.
Als sie wieder auf der Straße war, überkam sie Niedergeschlagenheit. Während sie durch den Regen zu ihrer Pension trottete, versuchte sie zu begreifen, was der Wirt ihr erzählt hatte.
In der Pension warteten Briefe auf sie, von ihren Eltern, von Maia und Helen. Sie las sie alle, aber nichts hinterließ einen Eindruck. Sie nahm ihr Abendessen ein und ging dann wieder in ihr Zimmer. Über ihren Schreibtisch gebeugt, begann sie am Schlußteil ihres Buchs zu schreiben, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Ihr Verstand war wie gelähmt, und während ihr Bleistift über das Papier stolperte, begann sie wieder zu husten.
Wenn es zunächst nicht zum Streit kam, dann nur, weil Joe sich eisern zwang, den Mund zu halten. Zwischen ihm und seinem Vater lagen Welten, das war immer so gewesen. All das, was Joe am meisten schätzte – Musik, Bücher, den Sozialismus –, verachtete sein Vater. John Elliot hatte an allem etwas auszusetzen, an Joes Kleidung, an seiner Ausdrucksweise, an den Beschäftigungen, denen er seine Zeit widmete. Sie hatten nichts gemeinsam. Wenn Joe sich nicht mehr in die Trotzhaltung der Jugendjahre zurückzog, so nur, weil er etwas älter und etwas klüger geworden war und weil er anfing, den unbändigen Arbeitswillen seines Vaters zu achten.
Er hatte sich damit abgefunden, daß er mit seiner Rückkehr nach Yorkshire die Rolle würde übernehmen müssen, die er ursprünglich abgelehnt hatte. Er war der alleinige Erbe seines Vaters. Nach John Elliots Tod würde er die Spinnerei erben, das
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