Das Winterhaus
unternommen? Sie war in Paris groß geworden, Herrgott noch mal! Da warst du doch schon mal, oder?«
Stille. »Einmal«, sagte John Elliot dann.
Zum hundertstenmal fragte sich Joe, wie es je zu dieser Ehe hatte kommen können; warum seine Mutter in ein Exil kalter Einsamkeit gegangen war, wo sie von ihrer Familie und dem Land, das sie geliebt hatte, völlig abgeschnitten gewesen war.
»Ich habe ihr dieses Haus gegeben und eine eigene Kutsche und Kleider und Schmuck, soviel sie wollte.«
Joe seufzte ungeduldig. »Sie ist hier gestorben«, sagte er. »Sie ist langsam verhungert und gestorben, und ich habe es mit angesehen.« Sogleich wünschte er, er könnte die Worte zurücknehmen. Der Funke des Schmerzes, der im Auge seines Vaters aufblitzte, erlosch, als John Elliot mit Bitterkeit sagte: »Und du glaubst, dir ergeht es genauso, nicht wahr, Joe? Was ich dir geben kann, ist nicht gut genug für dich.«
»Das ist es doch gar nicht«, entgegnete er müde. »Ich gehöre einfach nicht hierher. Siehst du das denn nicht?«
Danach folgte ein langes Schweigen, bis sein Vater schließlich sagte: »Und die Spinnerei?«
Joe zuckte nur die Achseln und suchte nach Worten.
Seine Überzeugung, daß er sich erst beweisen mußte, ehe er in die Schuhe steigen konnte, die sein Vater für ihn bereithielt, würde, das wußte er, mit Unverständnis und Verachtung aufgenommen werden. Und sein Widerstreben, alle Verbindung zu Robin abzubrechen, indem er in seinem Elternhaus blieb, erfüllte ihn mit Verachtung gegen sich selbst.
»Ich bin einfach noch nicht soweit, Dad. Noch nicht.«
Sein Vater sah ihn einen Moment wortlos an. Dann sagte er: »Also ich jedenfalls bin keiner, der ein gutes Essen verkommen läßt« und ging zur Tür. Dort blieb er stehen und drehte sich nach Joe um. »Dann gehst du also wieder?«
Er konnte seinem Vater kaum ins Gesicht sehen. Soviel Verachtung, Verwirrung und Schmerz. Behutsam sagte Joe: »Nur eine Weile. Ich komme zurück, Dad. Und ich werde schreiben.« Er wollte noch sagen, es tut mir leid, aber da hatte John Elliot sich schon abgewandt und ging hinaus. Er hörte seine sich entfernenden Schritte. Einen Moment blieb er reglos stehen, die Hände zu Fäusten geballt, die Lippen aufeinandergepreßt. Dann ging er in sein Zimmer und begann zu packen.
Er fand seine Fotografien, kontraststarke Aufnahmen von Moor, Fels und Wasser, mit einem Bändchen zusammengefaßt im Sekretär seiner Mutter. Und das Adreßbuch seiner Mutter; als er es durchblätterte, entdeckte er die Namen lang vergessener französischer Verwandter. Er betrachtete die Fotografien auf dem Kaminsims – seine Mutter, sepiabraun unter einem Sonnenschirm; Johnnie, strotzend vor Energie, in Uniform mit vielen Orden; ein Säugling, vermutlich er selbst, in einem Kinderwagen. Nachdem er das Foto seiner Mutter eingesteckt hatte, sah er sich ein letztes Mal in dem Zimmer um und erkannte, warum die Erinnerungen an seine Mutter so erstaunlich klar waren. Das Zimmer war unverändert geblieben seit dem Tag ihres Todes. Es schien mit angehaltenem Atem darauf zu warten, daß sich die Tür öffnen und Thérèse Elliot zurückkehren würde: um Klavier zu spielen, um Briefe zu schreiben, um den Duft der Treibhausblumen einzuatmen, die auf dem Tisch standen. Mit einem leichten Schauder wurde Joe sich bewußt, daß sein Vater ihr einen Altar errichtet hatte. Soviel Liebe, dachte er. Soviel unerfüllte, gedemütigte Liebe.
Er nahm seinen Rucksack und zog seinen Mantel an. Nachdem er seinen Vater im Haus nicht gefunden hatte, ging er in die Spinnerei und erfuhr dort vom Werksleiter, daß sein Vater vor einer halben Stunde nach Bradfort gefahren war. Mit einem Gefühl der Verärgerung und des Mitleids machte Joe sich auf den Weg aus dem Dorf. Erst als er Hawksden weit hinter sich gelassen hatte und die Hügel die schlanke, hohe Silhouette des Fabrikschornsteins verbargen, machte er halt. Er lehnte sich an eine aus losen Steinen aufgetürmte Mauer und suchte in seiner Tasche nach seinen Zigaretten. Die Packung war halb voll, und zwischen den Zigaretten und dem Silberpapier um sie herum war etwas eingeklemmt. Joe entfaltete drei neue Zwanzig-Pfund-Scheine. Er starrte sie einen Moment an, ehe er sie einsteckte, seine Zigarette anzündete und weiterging.
Robin konnte wegen ihres Hustens nachts kaum schlafen. Miss Emmeline machte ihr heiße Zitrone mit Honig, aber das half kaum. Die ältere Miss Turner wurde krank und kam mit Rippenfellentzündung ins
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