Das Winterhaus
öffnete und Joe erkannte, hätte sie am liebsten geweint vor Erleichterung. Statt dessen jedoch begann sie zu husten und konnte nicht mehr aufhören. Er half ihr, sich aufzusetzen. »Warst du beim Arzt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum nicht, zum Teufel?« Das klang ärgerlich.
»Ich wollte ihn nicht belästigen.« Sie war so froh, ihn zu sehen – Joe, so tüchtig und umsichtig, würde ihr aus dem Schlamassel, in das sie sich hineinmanövriert hatte, wieder heraushelfen. »Wo bist du gewesen, Joe?«
»Zu Hause – in Yorkshire, meine ich. Ich bin heute nachmittag zurückgekommen. Ich hab geklopft, aber es hat sich nichts gerührt. Ich hab deinen Mantel im Vestibül hängen sehen, da bin ich zur Hintertür gegangen. Wo wohnt dieser Arzt, bei dem du arbeitest?« Nachdem sie ihm Dr. Mackenzies Adresse gegeben hatte, nickte sie wieder ein. Sie verlor alles Zeitgefühl, aber sie hörte Miss Emmeline nach Hause kommen und später Dr. Mackenzies Automobil, das vor dem Haus anhielt. Als er an ihr Bett trat, erwartete sie Vorhaltungen, aber Dr. Mackenzie war liebevoll und freundlich. Er diagnostizierte eine Bronchitis, verschrieb ihr Medikamente und viel Ruhe. »Ich möchte Joe sprechen«, krächzte sie. Sie wußte plötzlich genau, was sie wollte.
Als er kam, nahm sie seine Hand und sagte: »Bring mich nach Hause, Joe, ja? Bitte bring mich nach Hause.«
Er stahl einen kleinen Sportwagen, der einem von Francis' reichen Freunden gehörte, und schloß ihn im Mondlicht kurz. Bevor sie abfuhren, heftete er eine Zehn-Pfund-Note an einen Zettel, auf den er ein paar Worte geschrieben hatte, und schob ihn in den Briefkasten. Es war kurz nach Mitternacht, als sie nach Cambridgeshire aufbrachen.
Er wickelte sie in Decken und flößte ihr Tee und Aspirin ein. Aus dem Matschregen wurde Schnee, als sie weiter nach Norden kamen. Im Handschuhfach des Wagens lag eine Karte. Joe klemmte sie ans Armaturenbrett und fuhr ihren Angaben folgend durch Essex nach East Anglia und weiter in die eisige Stille der Fens. Er fand die Stille und die Leere der flachen Landschaft, die nur aus Weite und Himmel zu bestehen schien, unglaublich. Der Morgen dämmerte, als er Cambridge hinter sich gelassen hatte, aber der kommende Tag zeigte sich nur in einem tiefhängenden Streifen diffusen Lichts. Schnee verwischte die Horizontlinie und verschleierte die Sonne.
Robin schlief meist während der Fahrt. Joe sah alle paar Minuten nach ihr, um ihre Gesichtsfarbe und ihren Atem zu prüfen. Kurz vor ihrer Ankunft wurde sie wach.
»Schau, Joe«, sagte sie heiser. »Da ist es. Das ist Blackmere Farm.« Er mußte sich anstrengen, um in dem wirbelnden Weiß etwas erkennen zu können. Dann sah er das vierschrötige kleine Haus, die verkrüppelten Bäume und die brettebenen, von Gräben durchzogenen Wiesen rundherum. Rauhreif glitzerte auf dem Dach, Haus und Landschaft lagen verzaubert in weißflimmerndem Glanz. Joe bremste ab, hielt den Wagen vor dem Haus an und stieg aus.
Nachdem er ein paarmal kräftig an die Tür geklopft hatte, wurde sie geöffnet. Er hätte Robins Vater überall erkannt. Er hatte die tiefbraunen Augen wie seine Tochter, die gleichen klargeschnittenen Wangenknochen, die gleiche hohe Stirn.
»Ich bin ein Freund von Robin. Es geht ihr nicht gut. Ich habe sie nach Hause gebracht.«
Er trug Robin ins Haus. Als ihre Mutter und ihr Bruder kamen, wußte er, daß Robin hier gut aufgehoben war. Mrs. Summerhayes war klein und blond und energisch. Niemand regte sich auf, alle kümmerten sich nur mit ruhiger Umsicht um sie. Der Bruder – Hugh, dachte Joe, bemüht, sich zu erinnern – trat zu ihm und sagte: »Kommen Sie, setzen Sie sich ans Feuer, alter Junge. Sie sind doch bestimmt völlig erledigt.«
Das Wohnzimmer war voller Bücher, Pflanzen und in satten Farben leuchtender indischer Teppiche. Auf dem Klavier in der Ecke lagen Stapel von Noten. Im Kamin brannte ein großes Feuer. Das Zimmer war schön, farbenfroh und freundlich. Hugh verschwand in der Küche, um Tee und Toast zu machen, aber Joe, der seit seiner Abreise aus Hawksden keine Nacht geschlafen hatte, nickte im Sessel ein, ehe er zurückkehrte.
Als Joe später steif und etwas wirr erwachte, durchstreifte er das Erdgeschoß des Hauses, bis er Robins Vater in seinem Arbeitszimmer fand.
»Ah, Sie sind wach.« Robins Vater bot ihm lächelnd die Hand. »Die Formalitäten sind vorhin zu kurz gekommen. Ich bin Richard Summerhayes.«
»Joe Elliot.« Er gab Richard die Hand. »Ist
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