Das Winterhaus
Robin …?«
»Sie schläft jetzt. Daisy ist bei ihr, und Hugh ist nach Burwell gefahren, um Dr. Lemon zu holen.« Er sah Joe an. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Wir haben uns schon Weihnachten Sorgen um sie gemacht, sie wirkte so abgekämpft. Und nach ihrer Rückkehr nach London hat sie überhaupt nicht geschrieben. Hugh wollte hinfahren, um nach ihr zu sehen, aber meine Frau und ich waren der Ansicht – nun, wenn Sie ein Freund von Robin sind, wissen Sie ja, wie eifersüchtig sie über ihre Selbständigkeit wacht.«
Joe konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Wie eine Tigerin.«
»Genau.« Richard Summerhayes' Miene verdüsterte sich. »Aber es war falsch von uns. Manchmal muß man sich eben doch einmischen.«
Ein kurzes Schweigen trat ein. Dann sagte Richard Summerhayes: »Wie gedankenlos von mir! Sie sind sicher hungrig, Joe. Kommen Sie mit in die Küche. Mal sehen, was sich da zu essen finden läßt.« Das Küchenmädchen, ein verhuschtes Geschöpf, schaffte es immerhin, Eier und Schinken zu braten und eine Kanne Tee zu kochen. Joe, der plötzlich einen wahren Bärenhunger hatte, aß an dem großen Küchentisch, und Richard Summerhayes unterhielt sich mit ihm.
Obwohl das Gespräch nichts von einem Verhör hatte, wußte Richard, als Joe mit dem Essen fertig war, so ziemlich alles Wissenswerte aus dessen fünfundzwanzigjährigem Leben. Joe, der sich nicht leicht anderen anvertraute, erzählte Richard sogar von der Nacht in der Penne.
»Ich hatte Flöhe! Widerlich. Man möchte am liebsten alle seine Kleider verbrennen und in Desinfektionsmittel baden.« Joe strich mit der Hand über sein unrasiertes Kinn. »Ich muß mich entschuldigen. Ich sehe bestimmt unmöglich aus.«
»Entschuldigen Sie sich nicht.« Richard berührte flüchtig Joes Schulter. »Meine Frau und ich haben für ein Männerheim in Cambridge gesammelt. Was wir da gesehen haben – junge Männer wie Sie, völlig mittellos und ohne Hoffnung.« Richards Stimme verriet seine Bewegung. »Wenigstens haben Sie Familie, Joe.«
Joe stand auf. »Vielen Dank für das Frühstück. Ich sollte jetzt wieder fahren –«
»Fahren?« Richard sah ihn erstaunt an. »Das kommt nicht in Frage. Sie müssen bleiben. Als unser Gast.«
Einen Moment lang stand Joe unschlüssig da, die unangezündete Zigarette in der Hand.
Richard sagte freundlich: »Aber vielleicht bin ich egoistisch. Sie haben zweifellos Gründe, nach London zurückzukehren – die Arbeit … oder eine Freundin …«
Joe schüttelte den Kopf. In London hatte er nichts, kein Zuhause, keine Arbeit. Und die einzige Frau, die er begehrte, war in diesem Haus.
»Nein, nichts dergleichen«, sagte er. »Wenn es Ihnen recht ist, bleibe ich gern.«
Robin mußte fast eine Woche lang im Bett bleiben. So bestimmten es Dr. Lemon und ihre Mutter. Allmählich besserte sich der Husten, das Fieber fiel, und sie begann wieder richtig zu essen und zu schlafen. Ihre innere Ruhe, die sie in den vergangenen sechs Monaten fast ganz verloren hatte, stellte sich vorsichtig wieder ein. Draußen schneite es immer weiter, und sie genoß es, wenn sie wach war, einfach dazuliegen und zuzusehen, wie die großen, weichen Flocken aus dem Himmel herabtaumelten. Von ihrem Zimmerfenster aus konnte sie den Fluß und das Winterhaus sehen; eine dicke Schneedecke lag auf dem Dach der Hütte, und von den Dachkanten hingen Eiszapfen herab.
Wenn ihr langweilig war, las Richard ihr vor, oder Hugh spielte Schnippschnapp mit ihr, oder Joe unterhielt sich mit ihr. Eines Nachmittags saß Joe, die langen Beine vor sich ausgestreckt, im Sessel an ihrem Bett, und sie sagte, ihn absichtlich fixierend: »Du hast dich mit Francis gestritten.«
»Wir haben uns beide mit ihm gestritten. Stimmt's?«
Sie sah ihn scharf an. »Aber ihr bereinigt das doch wieder, nicht wahr?«
»Das glaube ich nicht.«
Sie wußte, daß Francis nicht nachtragend war. Sie fand die Vorstellung, daß der Bruch zwischen ihm und Joe von Dauer sein könnte, schrecklich.
»Joe – ganz gleich, was es war, Francis vergißt es bestimmt. Das ist immer so bei ihm.«
Er schüttelte den Kopf.
»Aber ihr kennt euch doch seit Jahren!« rief sie verständnislos. »Willst du dein Leben lang mit ihm zerstritten bleiben? Joe! Herrgott noch mal …«
Sein Gesicht verdunkelte sich. »Francis hat nichts getan, Robin. Ich habe was getan.« Er brach ab und starrte zur Zimmerdecke hinauf. Dann sagte er: »Ich habe Francis erzählt, daß ich mit Vivien geschlafen
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