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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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geschrieben, genau wie immer, aber ihre Briefe waren zu Aufzählungen belangloser Ereignisse geworden. »Die Menschen leben sich auseinander«, sagte Daisy, als Robin mit ihr darüber sprach. Aber Robin, die es dabei nicht bewenden lassen wollte, fuhr am Tag nach dem zweiten Weihnachtsfeiertag allein mit dem Fahrrad nach Thorpe Fen.
    Sie traf Helen in einem düsteren kleinen Zimmer unten im Pfarrhaus an, wo sie nähte. Helen sah nur kurz auf, dann beugte sie sich wieder über ihre Arbeit. »Ich muß die hier erst fertigmachen.« Sie wies auf die Bahnen von Chintz, aus denen sie Kissenbezüge nähte.
    »Die können doch warten.« Robin verspürte einen Anflug von Verärgerung. »Ich hab dich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.«
    Helen antwortete nicht, augenscheinlich ganz damit beschäftigt, einzufädeln, sich den Stoff zurechtzulegen. »Die Menschen leben sich auseinander«, hatte Daisy gesagt, und Robin war geneigt, ihr recht zu geben, sich damit abzufinden, daß aus Helen von ihr unbemerkt diese langweilige, distanzierte Frau geworden war; daß die Passivität, die sie an Helen immer gereizt hatte, sich zu Apathie vertieft hatte.
    Sie versuchte es ein letztes Mal. »Ist es wegen deines Vaters?«
    Helen hielt den Kopf gesenkt.
    Robin sagte ungeduldig: »Du mußt für dich selbst eintreten, Helen. Du hast ein Recht auf ein eigenes Leben. Es ist lächerlich, daß du immer noch zu Hause sitzt und deinen Vater versorgst.«
    Da sah Helen endlich mit großen Augen auf. Dann schüttelte sie den Kopf. Doch bei diesem kurzen Aufblicken hatte Robin den Ausdruck in ihren rotgeränderten Augen wahrgenommen. Manche von den Flüchtlingen sahen einen so an – nicht die Selbstbewußten, Wohlhabenden, Begabten, sondern die, die durch den plötzlichen Verlust ihrer Heimat verwirrt und geängstigt waren.
    »Helen«, sagte sie leise.
    Der Faden in Helens Hand riß ab. »Es ist nicht wegen Daddy. Es ist wegen Hugh.«
    Robin starrte sie verblüfft an. Helen nahm den abgerissenen Faden und wickelte ihn sich fest um die Finger.
    »Ich habe Hugh gesagt, daß ich ihn liebe.«
    Sie sah, wie der Faden in Helens weiße, weiche Finger einschnitt. Ihr sank plötzlich der Mut.
    »Ich habe Hugh gesagt, daß ich ihn liebe. Und ich habe ihm einen Heiratsantrag gemacht.« Ein leiser Laut kam über ihre Lippen, ein Laut, den Robin nicht sogleich als Gelächter erkannte. »Ich! Ich bitte einen Mann, mich zu heiraten! Kannst du dir das vorstellen, Robin? Helen Ferguson, die nicht mal den Mut hat, dem Dienstmädchen zu sagen, daß es die Treppe richtig fegen soll, ich mache einem Mann einen Heiratsantrag! Er hat natürlich abgelehnt.« Ihre Stimme klang hörbar bitter.
    »Vielleicht hält Hugh nichts von der Ehe … ich weiß, daß er dich gern hat –«
    »Hugh liebt Maia.«
    »Unsinn«, sagte Robin. Sie hätte beinahe gelacht. Das war ja lächerlich. Aber als sie den Zorn in Helens Augen sah, blieb ihr das Lachen weg.
    »Hugh liebt Maia«, sagte Helen kalt. »Er hat es mir selbst gesagt.«
    Kleine Ereignisse der Vergangenheit fügten sich ineinander und ergaben eine Gewißheit, an die Robin nicht glauben wollte. Hughs Geburtstag und sein Gesicht, als Maia ihn einfach Darling genannt hatte … diese Mischung aus Schmerz und Entzücken in seinen Augen, wenn er Helen und Maia beim Singen beobachtet hatte.
    »Er hat mir gesagt, daß er Maia immer schon liebt. Es gab also nie Hoffnung für mich.« Helen hatte sich wieder ihrer Arbeit zugewandt und riß heftig und wütend die Heftfäden aus einem ihrer Kissenbezüge. »Maia hat alles, was sie sich je gewünscht hat, nicht wahr? Sie ist schön, sie ist reich, sie hat ein wunderbares Haus. Und alle Männer verlieben sich in sie.«
    Hugh liebte Maia. Hugh, ihr sanfter, vom Krieg geschädigter Bruder, liebte Maia Merchant. Robin, die sich an Maia erinnerte, wie sie sie bei der Untersuchung über Vernons Tod erlebt hatte, schauderte.
    »Weiß es Maia?«
    Helen schüttelte den Kopf. Das Feuer zorniger Verzweiflung in ihren Augen erlosch endlich, und sie sagte: »Ich hätte sie beinahe gehaßt. Aber irgendwie konnte ich es nicht. Ich meine, es ist ja nicht einmal ihre Schuld, nicht wahr? Sie ist einfach so.«
    Maia hatte Vernon Merchant seines Geldes wegen geheiratet. Hugh besaß keinen Penny, er hatte also nichts, was Maia begehrte. Hugh liebte Maia vielleicht seit zehn Jahren, und Maia war gleichgültig geblieben. Es würde nie etwas entstehen. Es durfte nie etwas entstehen.
    »Verstehst du jetzt, Robin, warum

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