Das Winterhaus
ich euch nicht mehr besuche?« sagte Helen, als sie den Faden einfädelte und die nächste Naht in Angriff nahm.
Das ganze vergangene Jahr hatte Joe sich an das Versprechen gehalten, das er Hugh gegeben hatte. Er hatte Robin in Cafés geführt und sie mit Schokoladeneclairs und Tee gefüttert, wenn sie zu dünn aussah; er hatte sie im Winter zu Konzerten begleitet und im Sommer, wenn Francis nicht dagewesen war, Ausflüge mit ihr gemacht. Er hatte sich ihre Sorgen und Kümmernisse über Francis angehört und sich dabei bemüht, seine Eifersucht zu verbergen, und in letzter Zeit hörte er sich auch ihre Sorgen um Hugh an. Er hatte schon vor Monaten, als er Maia Merchant das erstemal begegnet war, erraten, daß Hugh Summerhayes sie liebte, aber das sagte er Robin nicht. Er hatte gleich gesehen, daß Maia jene Art makelloser Schönheit besaß, die Männer zu völlig irrationalen Handlungen treiben konnte. Es war ihm nach vielem Reden gelungen, Robin klarzumachen, daß sie Hugh seine aussichtslose Liebe lassen mußte, daß jede Einmischung alles nur schlimmer machen würde.
Joes Gefühle für Robin – ebenso hoffnungslos, ebenso verschwiegen – hatten sich nicht geändert. Er fand seine Situation unerträglich. Wenn sie nicht da war, sehnte er sich danach, sie zu sehen; wenn sie bei ihm war, hielt er es kaum aus, sie sehen, aber nicht berühren zu dürfen. Manchmal war er wütend, daß er sich dieses Versprechen von Hugh Summerhayes hatte abnehmen lassen; oft, wenn er an Francis und Robin dachte, überwältigte ihn eine wilde Eifersucht, derer er sich schämte. Die beinahe tägliche Konfrontation mit seiner Situation – nur Freund zu sein, wo er Geliebter sein wollte – zermürbte ihn.
Dennoch hatte er in diesem einen Jahr einen langen Weg zurückgelegt. Er arbeitete jetzt bei Richard Summerhayes' Freund Oscar Prideaux, seit zwanzig Jahren Eigentümer eines gutgehenden Fotostudios, das er mit Hilfe einer Anzahl unterbezahlter Assistenten betrieb. Für Oscar machte Joe schmeichelhafte Aufnahmen von Debütantinnen (mit Weichzeichner und bei weicher Beleuchtung) und fotografierte bei unzähligen Hochzeiten. Es war eine wertvolle Lehrzeit, auch wenn Joes Ambitionen auf einem anderen Gebiet lagen. Er hatte bereits eine Serie seiner Fotografien an eine linksgerichtete Zeitschrift verkauft. Die Rothermere-Zeitungen hatten von Gewalt der Teilnehmer an einem Hungermarsch gegen die Polizei berichtet, Joes Bilder jedoch hatten eine andere Geschichte erzählt, von berittener Polizei, die gegen unbewaffnete Männer vorging. Er hatte vor, bald nach Paris zu reisen, einerseits, um sich selbst ein Bild von den dort schwelenden Unruhen zu machen, andererseits, um nach seiner Tante Claire zu suchen.
In der ersten Februarwoche warf er ein paar Sachen in seinen Rucksack, packte mit großer Sorgfalt seine Kamera, seinen wertvollsten Besitz, und nahm vom Victoria-Bahnhof aus den Zug mit Anschluß an die Fähre. Die Überfahrt war lang und stürmisch, der Zug von Calais kalt und überfüllt. Als er mittags in Paris eintraf, lag eine Spannung in der Luft, die er wahrnahm, sobald er an der Gare du Nord aus dem Zug stieg. In den Straßen ging es für die Pariser Mittagszeit ungewöhnlich lebhaft zu, und Joe hatte den Eindruck einer Stimmung von böser Aggressivität, die zur kühlen Eleganz dieser Stadt schlecht paßte.
Er setzte sich zu einem Glas Rotwein und einem Baguette in ein kleines Café und beobachtete, daß viele der Menschen auf der Straße den Jeunesses Patriottes und den Croix du Feu angehörten, beide rechtsextreme Organisationen. An Straßenecken kam es zu kleineren Handgemengen, die von der Polizei auf brutale Weise unterbunden wurden. Der Kellner erklärte auf Joes Frage: »Sie planen einen Staatsstreich. Die Faschisten und die Antirepublikaner versammeln sich auf der Place de la Concorde und wollen von dort aus zur Deputiertenkammer ziehen. Der Wirt hat mir gesagt, daß an allen Zugangsstraßen zur Deputiertenkammer Polizei steht.« Der Kellner zuckte die Achseln. »Es wird ein Blutbad geben, Monsieur.« Es war später Nachmittag, und der Himmel begann sich schon zu verdunkeln, doch im regenschimmernden Licht der Straßenlaternen waren Erregung und Haß auf den Gesichtern der Menschen, die sich auf Straßen und Bürgersteigen drängten, deutlich zu sehen. Joe folgte dem Zug der Menge zur Place de la Concorde. Dort tauchte er in eine Türnische und legte einen Film ein, dann zog er sich auf eine Mauer und stellte das
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