Das Winterhaus
hatte kein Verlangen, Claires törichtes Gesicht weiterhin täglich vor mir zu sehen, nachdem sie mein Haus verlassen hatte.«
»Sie hat hier gewohnt?«
»Einige Monate. Nach dem Tod ihrer Eltern.«
»Und danach?«
»Danach ist sie nach München gezogen. Sie hat einen Deutschen geheiratet. Einen Musiker auch noch!«
Als handelte es sich um einen Verbrecher, dachte Joe. »Haben Sie ihre Adresse?«
Ein Achselzucken. Dann läutete Marie-Ange dem Mädchen. »Bringen Sie mir meine Schreibmappe, Violette.«
Nachdem das Mädchen ihr die Ledermappe gebracht hatte, begann sie darin zu suchen.
»Nach ihrer Heirat hat Claire mir mehrmals geschrieben. Ich habe ihr allerdings nicht geantwortet, und nach einer Weile hat sie die Korrespondenz eingestellt. Claire war beinahe vierzig, Monsieur. In so einem Alter heiratet man doch nicht mehr – und dann auch noch von Liebe zu sprechen, das ist geradezu lächerlich.«
Es fiel Joe schwer, stumm dazustehen und sich ihre geringschätzigen Äußerungen anzuhören. Aber er zwang sich, ruhig zu bleiben, da er vermutete, sie würde sich ein Vergnügen daraus machen, ihm überhaupt keine Auskunft zu geben, wenn er es wagte, sie zu beleidigen.
Schließlich zog sie ein Blatt Papier aus einem Kuvert. »Bitte, Monsieur . Sie können den Brief behalten, er bedeutet mir nichts.«
Er nahm das Blatt Papier, warf einen kurzen Blick darauf und steckte es ein. »Danke, Madame Brancourt. Sie waren mir eine große Hilfe.«
Aber er ging noch nicht. Er hatte noch eine frühere Bemerkung von ihr im Kopf, die ihn neugierig gemacht hatte.
»Warum haben Sie meine Mutter nicht gemocht, Madame Brancourt?«
»Sie war kokett.«
Eine bigotte und selbstgerechte Frau mit ewig mißbilligendem Gesicht. Sie lächelte über seinen Ärger.
»Sie glauben mir nicht, Monsieur ? Es ist wahr. Thérèse war launisch und unbeständig.«
Es war ein vernichtendes Urteil, und er sah ihr an, daß es ihr Freude bereitete, es zu verkünden. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie ihn an. »Sie haben große Ähnlichkeit mit ihr. Ich habe meinem Schöpfer stets dafür gedankt, daß er mir ein schlichtes Gesicht gegeben hat. Man ist dann der Versuchung weniger stark ausgesetzt.« Nicht lang danach verabschiedete er sich von ihr, froh, der beklemmenden Atmosphäre dieses Hauses zu entkommen. Er sagte sich, daß er erfahren hatte, was zu erfahren er hierhergekommen war: daß Claire Brancourt einen deutschen Musiker namens Paul Lindlar geheiratet hatte und nun in München lebte. Wenn die giftige Beschreibung der Unbeständigkeit seiner Mutter in ihm bei der Erinnerung an die völlige Gleichgültigkeit seiner Mutter gegenüber seinem Vater einen schrecklichen Verdacht weckte, so versuchte er, sich diesen aus dem Kopf zu schlagen.
Als Lord Frere Maia anrief, um sie zum Abendessen einzuladen, war Maia tief erleichtert. Nicht weil sie Harold Frere besonders mochte, sondern weil dies nur das Ende ihrer Isolation bedeuten konnte. Er war wohlhabend, einflußreich, aus bester Familie, eine Stütze der Gesellschaft. Wenn er mit ihr Verbindung aufnahm, konnte das nur heißen, daß sie wieder gesellschaftsfähig war.
Sie speisten in einem von Cambridges bekanntesten Restaurants. Das Gespräch drehte sich um seinen Besitz und ihre Firma und die Reisen auf den Kontinent, die sie unternommen hatten. Während sie beim Essen saßen, kamen mehrere Leute, die Maia seit Edmund Pamphilons Tod geschnitten hatten, zu ihnen, um ein paar Worte mit ihnen zu wechseln. Maia triumphierte und schlief in dieser Nacht so gut wie seit langem nicht mehr.
Als sie einige Wochen später eine Einladung zum Abendessen in Brackonbury House erhielt, wußte sie, daß die schlimmen Monate vorbei waren. Die Einladung war handgeschrieben, mit Lord Freres Unterschrift versehen. Freudig nahm Maia an und überlegte sich genau, was sie anziehen würde.
Sie fuhr allein in die Fens hinaus. Der Himmel war klar. Das Licht des Vollmonds glänzte im Wässer der Gräben und auf den Flügeln der Windmühlen, die nicht mehr in Betrieb waren. Brackonbury House auf seiner Anhöhe war weithin sichtbar. Ein Chauffeur parkte ihr Automobil, ein Butler führte sie ins Haus, ein Mädchen nahm ihr den Mantel ab. Sie sah nirgends ein anderes Auto, nirgends einen anderen Gast. Sie mußte zu früh gekommen sein, dachte sie. Sie wurde in den Salon geführt.
Lord Frere stand am Feuer. Maia, die ihn begrüßte, während der Butler die Getränke eingoß, warf einen Blick auf die Uhr auf dem
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