Das Winterhaus
Kaminsims. Zehn nach acht. Auf der Einladung hatte es acht Uhr geheißen. Der schreckliche Verdacht überfiel sie, daß sie sich im Tag geirrt hatte.
»Es tut mir wirklich leid – habe ich mich in der Zeit getäuscht?«
Lord Frere lächelte. Er war ein großer, gutgebauter Mann mit glattrasiertem, stets etwas gerötetem Gesicht. Das schüttere Haar war glatt aus der Stirn gebürstet.
»Keineswegs, meine Liebe.«
»Aber die anderen Gäste …« Sie sah sich um.
»Habe ich Ihnen das nicht geschrieben? Wie nachlässig von mir! Ich dachte an ein kleines Souper à deux , Mrs. Merchant. Um nach der Hetze des Tages ein wenig zur Ruhe zu kommen.«
Sie lächelte und antwortete höflich, aber ihr war unbehaglich, und dieses Unbehagen vertiefte sich noch, als sie beim Eintritt ins Speisezimmer sah, daß der Tisch nur für zwei gedeckt war.
»Lady Frere –?« begann sie stockend.
»Primrose ist leider unpäßlich. Meinen Sie, Sie können für einen Abend mit meiner Gesellschaft vorliebnehmen?«
Das Abendessen verlief durchaus angenehm. Es gab gut zu essen, und die Weine waren ausgezeichnet. Nervös trank sie mehr, als ihre Absicht war. Am Ende der Mahlzeit hatte Lord Frere sie gebeten, ihn Harold zu nennen, und ihre Bedenken waren verflogen. Es konnte doch nichts dabeisein, wenn eine Witwe mit einem älteren Herrn zu Abend aß.
Aber nach dem Essen wurde ihr klar, wie sehr sie sich getäuscht hatte. Sie waren in den Salon zurückgekehrt. Der Butler hatte ihnen zu trinken eingeschenkt und sich zurückgezogen. Maia sagte: »Ich muß bald gehen. Ich habe noch eine lange Fahrt vor mir.«
Sie saß am Feuer, die Hände um ihr Brandyglas. Lord Frere sah sie mit einem Blick an, bei dem all ihr früheres Unbehagen zurückkehrte.
»Meine liebe Mrs. Merchant. Stets so auf die Form bedacht.«
Der Unterton in seinen letzten Worten veranlaßte sie aufzublicken. Er lächelte dünn; sie konnte seine verfärbten Zähne sehen und den Ausdruck belustigter Geringschätzung in seinen Augen.
»Was meinen Sie damit?«
Er nahm ihr leeres Glas aus der Hand und stellte es auf den Kaminsims. Er sagte: »Ich meine, daß ich es bewundere, wie Sie stets die Formen zu wahren scheinen.«
» Scheinen ?« Ihr Ton war pikiert.
»Aber, aber, das darf Sie nicht beleidigen. Ich bewundere Ihr Verhalten beinahe ebensosehr, wie ich Sie begehre.«
Diesmal war es unmöglich, ihn mißzuverstehen. Sie fühlte sich zutiefst angeekelt. Was bildete sich dieser Mann – dieser alte, verheiratete Mann – ein, daß er glaubte, sie würde auch nur daran denken, seine Geliebte zu werden! Sie sagte kalt: »Würden Sie bitte dem Mädchen läuten, damit es mir meinen Mantel holt, Lord Frere. Ich denke, ich sollte jetzt gehen.«
Er machte keine Anstalten, nach der Klingel zu greifen. »Meine liebe Maia, so bald können Sie nicht gehen. Wir haben noch Geschäftliches zu besprechen.«
»Geschäftliches? Wieso?« Sie war verwirrt.
»Sie haben nicht bedacht, was ich Ihnen bieten kann, Maia. Was ich für Sie tun kann.«
Im ersten Moment glaubte sie, er spreche von der Firma. Gedanken an eine Partnerschaft gingen ihr flüchtig durch den Kopf. Dann hörte sie ihn sagen: »Das vergangene Jahr war nicht leicht für Sie, nicht wahr, Maia?« Er sah sie fragend an.
»Seit dem Tod Ihres Angestellten«, fügte er sehr leise hinzu. Zuerst konnte sie nichts sagen. Sie war wie hypnotisiert von ihm, von der Selbstgefälligkeit in seinem Blick, von dieser Arroganz, mit der er annahm, daß sein Reichtum und seine Stellung ihm alles erlaubten.
Sie sagte schwach: »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Aber kommen Sie! Wir wollen offen miteinander sein. Wir wissen doch beide, daß Sie seit dem Skandal um den Selbstmord Ihres Angestellten persona non grata in der guten Gesellschaft sind. Man hat Sie geschnitten, Maia. Keine der Damen – oder Herren – der besseren Gesellschaft Cambridges möchte mit Ihnen an einem Tisch sitzen.«
Ihr war eiskalt trotz des warmen Feuers. Sie konnte nicht bestreiten, was er sagte, aber niemand hatte ihr diese Wahrheit bisher so brutal ins Gesicht gesagt.
»Das muß doch für Sie sehr schwierig sein. Langweilig und schwierig. Die Menschen können ja so engstirnig sein.«
Sie sagte leise: »Mein Geschäft läuft gut. Mehr brauche ich nicht.«
»Tatsächlich? Ich konnte gar nicht umhin zu bemerken, wie erfreut Sie neulich waren, mit mir speisen zu können. Ausgestoßen zu sein, ist doch recht demütigend, nicht wahr?«
Sie merkte, daß sie
Weitere Kostenlose Bücher