Das Winterhaus
geweint, doch statt dessen umklammerte sie die Seiten des Fahrersitzes und zog sich hoch – soweit das in dem Fahrzeug, das mit der Nase im Graben steckte, eben möglich war. Bei ihrer Bewegung wackelte der Wagen beängstigend, und sie schrie erschrocken auf. Sie wußte nicht, wie tief das Wasser war. Sie hatte Angst, der Bentley könnte sich überschlagen und ins Wasser stürzen und sie würde ertrinken.
Sie hörte ihren vor Panik keuchenden Atem, als sie sich seitwärts neigte und den Griff der Tür auf der Fahrerseite packte. Es gelang ihr nicht gleich, die Tür zu öffnen, und sie stieß ein Schluchzen der Verzweiflung aus, aber die Angst verlieh ihr Kraft, der Griff drehte sich, und sie krabbelte hinaus. Sie riß sich die bloßen Arme an dem verbeulten Metall auf, und das Schilf, das an der Böschung wuchs, zerkratzte ihr das Gesicht. Rutschend kämpfte sie sich den glitschigen Hang zur Straße hinauf. Als sie beinahe oben war, hielt sie inne, frierend im hohen Gras zusammengekauert, gewiß, daß er , wenn sie aufsah, immer noch dasein würde. Doch als sie sich endlich zwang aufzustehen, sah sie, daß niemand da war – nur die lange, schmale Straße, die öden Felder und ein vom ewigen Wind gebeugter Baum. Mit einem Aufschluchzen der Erleichterung kletterte sie bis ganz nach oben und sank am Straßenrand zusammen.
Nach einer Weile hatte sie sich soweit gefaßt, daß sie sich aufsetzen und umsehen konnte. Sie schien nicht verletzt zu sein, und schnell sah sie auch, daß sie dieses Gebiet kannte. Sie, Helen und Robin waren auf dieser Straße geradelt, Hugh war mit ihnen auf dem Fluß gerudert, der die Wiese durchzog. Maia schlang die Arme um ihren Oberkörper und sehnte sich nach den einfachen Tagen der Kindheit. Es schien alles so lange her zu sein.
Sie machte sich auf den Fußmarsch zur Blackmere Farm. Sie schlotterte vor Kälte. Sie hatte ihren Mantel in dem schrecklichen Haus gelassen, und ihr ärmelloses Kleid war völlig durchnäßt. Sie ging schwankend, aber sie hätte nicht sagen können, ob das durch den Schock kam oder weil sie noch immer ziemlich betrunken war. Als sie bleich und behäbig und einladend das Farmhaus im Mondlicht erblickte, begann sie zu laufen.
Es war fast ein Uhr. Hugh hatte zu schlafen versucht, aber es war ihm nicht gelungen. Schließlich hatte er seinen alten Morgenrock übergezogen und war mit seinem Buch und seiner Pfeife in die Küche hinuntergegangen, den einzigen Raum im Haus, in dem es immer warm war. Die Nacht war ruhig, nichts rührte sich, bis er die Schritte auf dem Kiesweg neben dem Haus hörte. Dann klopfte jemand an die Fensterscheibe.
Hugh legte sein Buch weg und öffnete die Küchentür.
»Hugh!« rief Maia und warf sich ihm entgegen.
Er hielt sie in den Armen und streichelte ihr Haar. Er konnte sich später nicht erinnern, was er ihr zugemurmelt hatte, aber er erinnerte sich, wie wunderbar es gewesen war, sie in den Armen zu halten. Dann merkte er, daß sie völlig durchgefroren und durchnäßt war, und er führte sie in die Küche. Sie sah erschreckend aus, ihr Kleid zerrissen, ihr Gesicht zerkratzt und verschwollen. Eine entsetzliche Angst um sie erfaßte ihn. Er drückte sie in einen Sessel am Feuer und legte ihr seine Jacke um die Schultern. »Ich wecke Ma«, sagte er. »Und dann fahre ich nach Burwell zum Arzt.«
Sie hielt ihn auf. »Nein, Hugh. Ich bin nicht verletzt – ich brauche keinen Arzt.«
Er sah sie scharf an. »Was ist passiert, Maia?«
»Ich hab den Wagen zu Bruch gefahren.« Sie versuchte zu lächeln. »So was Dummes. Er liegt irgendwo bei Jackson's Corner im Graben.«
Sein Herz raste. »Du hättest umkommen –«
»Bin ich aber nicht.« Sie zitterte immer noch, trotz der Jacke und der Wärme des Herds.
»Ich hole dir was zu trinken.«
Maia schüttelte den Kopf. »Ich habe heute abend schon zuviel getrunken.«
Es war wahr, er konnte den Whisky an ihren Kleidern riechen. »Dann eben Kakao«, sagte er ruhig.
Er setzte die Milch auf, dann holte er Arnikasalbe und Scharpie für ihre Verletzungen. »Bist du gerutscht?« fragte er.
»Ja.« Ihre Stimme war dünn und verängstigt, gar nicht ihr entsprechend. »Ich habe ihn gesehen –«
»Wen?« fragte Hugh scharf.
»Vernon«, flüsterte sie.
Die Milch kochte. Hugh goß sie in die Tasse und brachte diese Maia. »Trink.« Er legte ihre kalten Hände um die Tasse. Dann sagte er liebevoll: »Du weißt doch, daß Vernon tot ist, Maia.«
»Ja.« In ihren Augen waren Tränen. »Aber ich habe
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