Das Winterhaus
ausbrechen!« hätte er am liebsten geschrien, statt dessen jedoch hörte er sich, als es an ihm war zu sprechen, den breiten Lancashire-Dialekt des Vorsitzenden, Ted Malham, nachahmen. Er rieb sich sogar die Stirn mit dem Taschentuch, wie Ted es zu tun pflegte, und trat, Teds linkisches Arbeiterklassengehabe nachäffend, ständig von einem Fuß auf den anderen. Er konnte es einfach nicht lassen. Mit solchen Vorstellungen hatte er im Pub immer Riesenerfolg. Selena, Guy und Diana pflegten Tränen zu lachen.
Diesmal lachte niemand. Der Schriftführer unterbrach ihn in eisigem Ton: »Ich denke, wir haben genug gehört, Mr. Gifford.« Und der Vorsitzende sagte mit hochrotem Gesicht: »Leider war nicht allen von uns das Privileg einer guten Schulbildung gegönnt, mein Junge.« Er sagte es so demütig, so tief verwundet, daß Francis am liebsten Ted oder sich selbst eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte.
Draußen im Nebel ging er zur nächsten Telefonzelle und ließ sich von der Auskunft Evelyn Lakes Nummer geben.
Auch als Adam fort war, besuchte Helen weiterhin die Familie Randall. Mrs. Randalls viertes Kind wurde im späten Frühjahr geboren. Als Helen am Tag seiner Geburt in das kleine Bauernhaus kam, führte Elizabeth sie sofort zu dem Neugeborenen.
»Er heißt Michael. Ist er nicht winzig?«
Helen steckte die Blumen, die sie mitgebracht hatte, in eine Vase und stellte sie Susan Randall ans Bett. Dann kniete sie nieder und blickte in die Wiege. Sie zog die Decke zurück und streichelte mit einem Finger sehr behutsam die weiche runde Wange des Säuglings. Der kleine Mund zog sich zusammen, und auf der Stirn bildete sich eine Falte.
»Darf ich ihn mal hochnehmen?«
»Aber natürlich, Helen.« Mrs. Randall versuchte zu lächeln, aber sie sah zu Tode erschöpft aus.
Sehr vorsichtig hob Helen das Neugeborene aus der Wiege und drückte es an sich. Sein Kopf ruhte, von ihrer Hand gestützt, an ihrer Schulter. Der kleine Körper lag warm an ihrer Brust. Sie spürte die kleinen, schnellen Bewegungen seiner Atemzüge und den Schlag seines Herzens. Sie konnte nicht sprechen, und als sie zu ihm hinuntersah, standen Tränen in ihren Augen. Als der Kleine zu weinen begann und auf der Suche nach Nahrung den Mund bewegte, wollte sie ihn nicht aus den Armen lassen.
In dieser Woche besuchte sie die Randalls jeden Tag. Mrs. Randall hatte Fieber und konnte das Kleine nicht stillen; Helen half Elizabeth bei der Zubereitung der Fläschchen. Wenn sie Michael fütterte, wickelte, badete, war sie glücklich. Manchmal, wenn sie mit dem Säugling im Arm im Schaukelstuhl saß, stellte sie sich vor, er wäre ihr Kind und niemand könnte ihn ihr nehmen.
Eines Tages beim Tee brachte ihr Vater das Gespräch auf die Randalls.
»Sie sind keine Methodisten, gehören nicht einmal unserer Kirche an.«
Helen sagte nichts.
»Du mußt darauf achten, nicht zuviel von deiner Zeit einer einzigen Familie zu widmen, Helen. Du hast, hoffe ich, die Spendenaufrufe geschrieben? Und ich kann mich wohl darauf verlassen, daß die Vorbereitungen für die Jubiläumsfeier in vollem Gang sind. Lady Frere hat freundlicherweise ihr Kommen angesagt.«
Sie schwieg weiter. Sie wußte genau, was er vorhatte. Er wollte sie von Michael trennen, wie er sie von Adam und von Geoffrey getrennt hatte. Und auch von Hugh vielleicht. Liebte Hugh Maia, weil diese ganz anders als Helen selbständig und stark war, eine Frau und kein kleines Mädchen? Jeden Abend, wenn sie wach in ihrem Bett lag, erinnerte sich Helen der Chancen, die sie sich von ihrem Vater hatte rauben lassen; jeden Abend, wenn sie sah, wie ihr Leben verdorrt war, wurde sie zorniger.
Sie schenkte sich noch eine Tasse Tee ein. Dann sagte sie kalt: »Du hast einen Krümel am Kinn, Daddy« und trank.
Angetan mit Sonnenbrille und Schlapphut ging Francis zu Joes Ausstellung seiner Fotografien. Robin hatte ihm davon erzählt. Er hatte ihren überschwenglichen Beschreibungen mit einer Mischung aus Eifersucht und Neugier zugehört und schließlich gesagt: »Du hast wohl mit ihm geschlafen, als ihr in München wart, Darling? Sex im Auge der Sturmtruppen. Wahnsinnig erotisch.« Sie hatte tief verletzt ausgesehen (Robin war so leicht zu verletzen), und dann war sie vom Sofa aufgestanden und gegangen. Seitdem hatte er sie nicht mehr gesehen.
Im nachhinein fand er es verächtlich von sich, sie geneckt zu haben. Er wußte, daß er bald zu ihr gehen, sich mit ihr versöhnen, ihr versprechen würde, sich zu ändern, und
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