Das Winterhaus
lächelnde junge Frau.
»Er ist sehr schön«, sagte sie schüchtern, »aber –«
»Überlegen Sie nur mal, wie Ihr Mann sich freuen würde, wenn Sie ihm an einem heißen Tag wie heute jederzeit ein eiskaltes Getränk servieren könnten.«
Helen wurde rot. »Ich bin nicht verheiratet.«
»Nicht verheiratet!« Sie hörte die Ungläubigkeit in seinem Ton.
»Ich lebe mit meinem Vater zusammen. Er ist der Pastor von St. Michael.«
»Dann muß ich um Entschuldigung bitten.« Der Vertreter schüttelte den Kopf und schob den Hut aus seinem Gesicht. »Aber – ein hübsches Mädchen wie Sie …«
Er sah eigentlich ganz gut aus, dachte Helen. Er erinnerte sie an das Bild des Helden auf dem Umschlag des letzten Romans, den sie sich in Ely aus der Leihbibliothek geholt hatte. Kurzes dunkles Haar, blaue Augen, breite Schultern.
Der Vertreter ließ seinen Zigarettenstummel fallen und trat ihn mit dem Absatz in die Erde. Mit geringschätzigem Blick musterte er das Grüppchen kleiner Häuser, die Kirche, das Pfarrhaus, die das Dorf Thorpe Fen bildeten. »Sie sind hier ganz schön weit vom Schuß, was? Keine Kinos oder Tanzcafés, hm?«
»Und wir haben leider auch keine Elektrizität«, sagte sie mit einem bedauernden Blick auf die Hochglanzbroschüre.
»Keine Elektrizität! Tja, dann verschwende ich wohl Ihre Zeit.« Aber er ging noch nicht. Vielmehr sah er sie an und lächelte.
»Ja, wahrscheinlich.« Helen wollte sich wieder zum Gehen wenden.
»Waren Sie schon mal in einem Rasthaus?«
Sie blieb stehen und schüttelte den Kopf.
»Toller Spaß. Man kann tanzen, was trinken, was essen. Ich kenn ein wirklich gutes bei Baldock.«
Ihr Herz klopfte so laut, daß sie meinte, er müßte es hören.
»Na, wie wär's? Morgen abend?«
Helen schüttelte den Kopf. »Oh – ich kann unmöglich …«
»In diesem öden Nest hier ist doch bestimmt nie was los. Sie haben ein bißchen Spaß verdient.«
Beinahe hätte sie wieder den Kopf geschüttelt, aber dann ließ sie es sein. Sie hatte schon zu viele Gelegenheiten verpaßt. Sie dachte erst an Geoffrey Lemon und dann an Adam Hayhoe. Von Adam hatte sie seit fast einem Jahr nichts mehr gehört. Vielleicht, dachte sie, würde er trotz seines Versprechens niemals nach Thorpe Fen zurückkehren. Bei dem Gedanken überkam sie eine unerwartete Verzweiflung.
Wenn sie auch diese Gelegenheit vorbeigehen ließ, mit welchem Recht machte sie dann ihren Vater für die Enge ihres Lebens verantwortlich? Hier, sagte sich Helen, bot sich endlich eine Chance, etwas erwachsener zu werden. Etwas zu tun, was für andere junge Mädchen ganz selbstverständlich war. Einen Abend mit einem gutaussehenden Mann zu verbringen; für ein paar Stunden dem Gefängnis zu entfliehen, das Thorpe Fen ihr manchmal zu sein schien.
Er sagte: »Nichts für ungut – ich hab nur gedacht, Sie hätten vielleicht gern mal ein bißchen Spaß«, und sie nickte und sagte leise: »Also gut.«
Er lächelte. »So ist's richtig. Ich hol Sie um sechs ab, wenn's recht ist?«
Helen überlegte hastig und erwiderte: »Lieber um halb sieben.« Da würde ihr Vater sicher beim Abendgottesdienst sein. »Und Sie brauchen nicht zu klopfen. Ich warte hier draußen.«
»Na prima.« Der Vertreter packte sein Buch weg und setzte sich in seinen Wagen. Dann beugte er sich lächelnd noch einmal heraus. »Mein Name ist übrigens Maurice Page, Miss …?«
»Ferguson.« Nervös bot Helen ihm die Hand. »Helen Ferguson.«
Am nächsten Morgen fuhr Helen mit dem Bus nach Ely und kaufte, von der Angst geplagt, daß jemand, der sie kannte, sie sehen könnte, in der Drogerie Puder und Lippenstift. Während die Mädchen ihre Mittagspause machten, bügelte sie das kirschrote Kleid, das Maia ihr geschenkt hatte. Es war ziemlich warm für dieses schwüle Wetter, aber es war das einzige elegante Kleid, das sie besaß.
Sie erzählte ihrem Vater, Maia habe sie zum Abendessen eingeladen, und wartete aufgeregt und mit schlechtem Gewissen, bis er um sechs aus dem Haus ging. In ihrem Zimmer zog sie das rote Kleid an und legte Puder und Lippenstift auf. Sie bürstete ihr Haar aus und drehte es nach dem Vorbild einer Abbildung in Bettys Woman's Own zu einem Knoten. Das Gesicht, das ihr entgegenblickte, als sie in den Spiegel sah, erschreckte sie. Der Lippenstift betonte ihre vollen Lippen, die strenge Frisur brachte ihre hohen Wangenknochen und ihre leicht aufgeworfene Nase zur Geltung. Am liebsten hätte sie die Farbe abgewischt, um wieder die alte Helen zu
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