Das Winterhaus
werden, Daddys kleines Mädchen.
Aber es war schon fünf vor halb sieben. Sie hatte nur noch Zeit, Portemonnaie, Kamm und Taschentuch in ihre Handtasche zu stopfen, ihre Schuhe zu knöpfen und hinauszulaufen. Als sie zur Pforte kam, konnte sie in der Ferne schon Maurice Pages Wagen sehen, eine Staubwolke auf der unbefestigten Straße. Er hielt an und riß die Augen auf, als er ausstieg und sie sah.
»Ich muß schon sagen. Ein tolles Kleid.« Er öffnete ihr die Wagentür. Helen zog den Kopf ein und stieg ein. Sie hatte, sie merkte es jetzt, zugenommen, seit Maia ihr das Kleid gekauft hatte. Es spannte ein wenig über dem Busen und den Hüften und rutschte hoch, als sie sich setzte. Verstohlen zog sie den Rock herunter, als er den Wagen anließ.
Während sie in südlicher Richtung fuhren, erzählte Maurice ihr von sich.
»Ich hatte ein kleines Werkzeuggeschäft, aber der ganze Laden ist während der Depression vor die Hunde gegangen, und ich stand ohne einen Penny da.«
Helen äußerte ihre Teilnahme.
»Danach kamen zwei schlimme Jahre, aber dann wurde es langsam besser, und ich hab den Job hier bekommen. Erstklassiges Geschäft – die Leute stehen Schlange nach elektrischen Geräten. Dann hab ich mir das Baby hier gekauft –«, er tätschelte das Armaturenbrett, »– einen Austin Seven, vier Jahre alt, in prima Zustand.«
»Ja, ein schöner Wagen.« Er rumpelte über die von Furchen durchzogenen Straßen der Fens. »Sie sind sicher sehr viel unterwegs.«
»Ziemlich viel, ja. Aber ich bin mein eigener Herr, und ich lerne die interessantesten Leute kennen.« Er lächelte sie an und berührte mit seiner Hand flüchtig ihren Oberschenkel. Helen erstarrte. Alle ihre Zweifel kehrten mit einem Schlag zurück. Sie wußte nichts von diesem Mann. Bei Adam, den sie seit ihrer frühesten Kindheit kannte, war sie sicher gewesen; und auch bei Geoffrey, dessen Vater der Hausarzt der Familie war, hatte sie sich sicher gefühlt. Maurice Pages Hand kehrte zum Lenkrad zurück, und Helen versuchte sich zu beschwichtigen. Sie sagte sich, sie täte ja nur das, was Maia und Robin schon vor Jahren getan hatten. Maurice Page drückte sich gewandt aus und trug Anzug und Krawatte. Er sah aus wie ein Gentleman und würde sich auch so benehmen.
Das flache Land der Fens wich den sanft gewellten Hügeln von Süd-Cambridgeshire. Helen kannte die Gegend nicht. Sie sagte zaghaft: »Ist Baldock in London?«
Maurice warf den Kopf zurück und lachte. »Sie haben aber wirklich ein behütetes Leben geführt, was?«
Sie wurde knallrot. »Ich habe es nur vergessen. Ich war oft genug dort.«
»Hier ist ein schönes Stück gerade Straße«, sagte er. »Soll ich Ihnen mal zeigen, was er drauf hat?«
Der Wagen legte Geschwindigkeit zu. Maurice Page fuhr so schnell wie Maia, aber das Automobil, das, vermutete Helen, nicht so teuer war wie das Maias, schwankte und rumpelte, bis ihr ziemlich übel zu werden begann. Sie war froh, als Maurice abbremste.
»Da sind wir. Der Parkplatz ist fast voll. Es wird Ihnen gefallen – da geht's meistens hoch her.«
Das Rasthaus war ein neuer Bau aus rotem Backstein direkt an der Hauptstraße. Maurice quetschte den kleinen Austin zwischen zwei größere Fahrzeuge und öffnete Helen die Tür. Es schien hier noch heißer zu sein als in den Fens. Ihr war unangenehm warm in dem engen, langärmeligen Kleid.
Drinnen war es etwas kühler. Helen blickte sich um und bemühte sich, nicht allzu neugierig zu wirken. Sie war noch nie in einem Pub gewesen. Die Reihen von Flaschen hinter der Bar, das Klirren der Gläser, der schwache Biergeruch, der in der Luft hing, waren abstoßend und faszinierend zugleich.
»Was darf's denn sein?«
Sie begriff, daß er wissen wollte, was sie trinken wollte. »Oh«, sagte sie hastig, »eine Zitronenlimonade«, aber er schnitt eine Grimasse und schüttelte den Kopf.
»Sie halten mich wohl für einen Knicker. Wie wär's mit einem G und T?«
Sie hatte keine Ahnung, was ein G und T war, aber sie nickte.
»Da drüben ist ein netter Ecktisch. Gehen Sie schon mal rüber und setzen Sie sich, Helen. Ich bring Ihnen den Drink.«
In ihrem Glas waren Eiswürfel und eine Zitronenscheibe. Das Getränk sah aus wie billige Limonade aus der Flasche. Durstig trank Helen einen großen Schluck und begann zu husten. Sie hielt die Hand vor den Mund, und Maurice klopfte ihr auf den Rücken.
»Nicht so hastig, Kleine. Langsam, aber stetig, das ist mein Motto.« Sie zwang sich, das scheußliche Zeug zu
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