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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Sein Liebesleben wird wohl für die nächsten Tage ruiniert sein.«
    Helen lächelte nicht. Maia überlegte rasch. Das Entscheidende war jetzt, Helen nach Hause zu bringen, als wäre nichts geschehen. Sie konnte sich die Reaktion Pastor Fergusons, wenn er von Maurice Page erfahren sollte, nur zu lebhaft vorstellen. Ein heftiger Zorn packte sie. Mädchen wie Helen, die von der Gesellschaft viel zu lange in einem künstlichen Zustand kindlicher Unschuld gehalten wurden, waren am wenigsten fähig, sich selbst zu schützen, und wurden am strengsten verurteilt, wenn sie infolge ihrer Unerfahrenheit in eine Situation gerieten, mit der sie nicht fertig wurden. »Ich fahre dich nach Hause«, sagte Maia, »und sag deinem Vater, daß du wahnsinnige Kopfschmerzen hast und sofort ins Bett mußt.«
    Helen sagte nichts. Als Maia ihr einen Blick zuwarf, sah sie, daß sie wieder zu zittern begonnen hatte und mit weit aufgerissenen Augen starr vor sich hin blickte. Maia sagte behutsam: »Es ist furchtbar, daß dir das passieren mußte, Darling – Männer sind solche Tiere«, aber Helen antwortete nicht. Maia gab Gas und fuhr schneller. In Thorpe Fen half sie Helen aus dem Wagen und führte sie ins Haus. Es war spät, drinnen war es düster wie immer, so konnte Pfarrer Ferguson, der wie eine hagere schwarze Fledermaus aus dem dunklen Korridor trat, zum Glück nicht sehen, wie Helens Gesicht zugerichtet war.
    Maia sagte obenhin: »Sie hat schreckliche Kopfschmerzen, Mr. Ferguson. Ich bringe sie gleich hinauf«, lächelte reizend und ging mit Helen nach oben. Im Zimmer half sie Helen aus dem roten Kleid und in ihr Nachthemd. »Leg dich hin, Darling, und schlaf dich richtig aus. Dann fühlst du dich morgen gleich wieder besser.« Helen stieg gehorsam in ihr Bett.
    Im trüben gelben Licht der Petroleumlampe sah Maia ihre Augen, und was sie sah, erschreckte sie: es war eine Art Erloschenheit, ein Verlust aller Hoffnung. Sie wußte, daß sie mit solchen Dingen nicht umgehen konnte. Geradeso wie sie ihre eigenen tiefsten Gefühle weggesperrt hatte, hatte sie sich seit Jahren gegen den Schmerz anderer verschanzt. Robin oder Daisy oder Hugh hätten hier etwas tun können, aber nicht sie, Maia Merchant. Einen Moment stand sie unschlüssig, trat von einem Fuß auf den anderen und überlegte, was sie sagen könnte. Am Ende beugte sie sich zu Helen hinunter, gab ihr einen schnellen Kuß auf die Stirn und ging aus dem Zimmer.
    Sie war sich bewußt, daß sie Helen in letzter Zeit über ihrer Freundschaft mit Hugh vernachlässigt hatte, und fuhr am folgenden Sonntagnachmittag nach Thorpe Fen hinüber. Es war ein strahlender Sommertag, aber Helen war nicht im Garten, wie Maia erwartet hatte. Pastor Ferguson war nicht da, und zunächst fand Maia nur das kleine Dienstmädchen. Doch dann erschien Helen, ziemlich außer Atem.
    »Ich habe deinen Wagen gesehen.«
    »Was hast du denn getan, Helen? Du hast da was im Haar.« Maia zog ein Gesicht. »Igitt, Spinnweben.«
    Helen fuhr sich ungeduldig durchs Haar. Dann nahm sie Maia beim Arm. »Komm mit.«
    Maia folgte Helen die Treppe hinauf, durch Korridore und dann noch eine Treppe hinauf. »Meine Schuhe!« Maia wies auf ihre hochhackigen Pumps.
    »Zieh sie aus.«
    Sie stiegen in den Speicher hinauf, groß, mit schrägen Wänden. Seltsam geformte Gegenstände sprangen Maia aus der Düsternis an. Helen trug eine Petroleumlampe. Der kleine Lichtkegel hüpfte Maia voraus, als sie sich mit den Schuhen in der Hand zwischen Truhen und Kisten hindurch ihren Weg suchte.
    Helen öffnete eine kleine Tür. Sie drehte sich nach Maia um. »Siehst du? Ist es nicht wunderbar?«
    Maia folgte Helen in ihr Zimmer. Helen sagte: »Es ist mein Geheimnis – sonst weiß keiner davon. Du bist die einzige, der ich es bis jetzt gezeigt habe«, und Maia sah sich um.
    Dank dem Fenster und dank den weißgestrichenen Wänden war das Zimmer weit heller als der Rest des Speichers. Ein Sessel und ein Tisch standen darin und ein kleiner Bücherschrank voller – Maia strich mit dem Finger über die Buchrücken – billiger Liebesromane. An den Wänden hingen Bilder – Helens Aquarelle und aus Zeitschriften ausgeschnittene Illustrationen –, und auf dem Boden lag ein Teppich. Ein kleiner Ölofen war da, ein Waschtisch mit Schüssel und Krug, eine Tasse, ein Teller und Besteck.
    Und in einer Ecke des Zimmers stand eine kunstvoll geschnitzte hölzerne Wiege. Als Helen sich setzte, bemerkte Maia, daß die Wiege, von der Bewegung der losen

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