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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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können. Jemand hatte eine Times im Abteil liegengelassen. Joe schlug sie auf und überflog die Überschriften.
    »Gibt's irgendwas?« fragte Robin.
    »Da steht was von einem Putschversuch des Militärs in Spanien. Der Reporter nennt es eine ›absurde Verschwörung‹. Hm … der Putsch wurde in Marokko niedergeschlagen und hat sich nicht auf Spanien selbst ausgebreitet. So steht's da jedenfalls.« Joe faltete die Zeitung wieder zusammen.
    Der klare blaue Himmel Northumbrias verdüsterte sich, als sie sich den Industriestädten im Tynegebiet näherten. Dicke Dampfwolken in die Luft stoßend, ratterte der Zug dahin und brachte sie der Stadt immer näher.
    Es begann wie ein Torffeuer, schwelte kaum wahrnehmbar vor sich hin und sammelte dabei doch Hitze und Energie, bis es kein Entkommen vor seiner grimmigen Gewalt mehr gab. Spanien. Robin meinte, das Wort in jedem Pub und jedem Nachtlokal zu hören, in jeder Künstlerkneipe und bei jeder ausgelassenen Fete. Bis sie die Bedeutung der Flammen, die sie eingekreist hatten, begriffen hatte, waren sie und viele andere von ihrem grellen Glanz und ihrer Schönheit in Bann geschlagen.
    Spanien. Alle Bemühungen herauszubekommen, was eigentlich geschehen war, glichen einem Versuch, ein Puzzle zusammenzusetzen, dem mehrere Teile fehlten. Bruchstückhafte Berichte aus dieser oder jener Zeitung, ein Brief von irgend jemands Großmutter, die in Madrid lebte, ein Gespräch mit einem Freund, der gerade an der spanischen Küste Urlaub gemacht hatte, als der Aufstand ausgebrochen war. Der Bericht in der Times war falsch gewesen. Am 18. Juli hatte sich eine Gruppe rechter Militärs, von Monarchisten und Faschisten unterstützt, gegen die gewählte republikanische Regierung erhoben und Aufstände in Spanisch-Marokko und Spanien selbst provoziert. Marokko fiel praktisch von einem Tag auf den anderen; in vielen Städten und Dörfern des spanischen Mutterlands brachen Kämpfe aus. Spanien, das gerade den ersten Schritt getan hatte, um ein feudalistisches Gesellschaftssystem, in dem sich verarmte Bauern und ungeheuer reiche Großgrundbesitzer feindlich gegenüberstanden, hinter sich zu lassen, schien im Begriff, am Versuch der Demokratie zu scheitern und in finsterstes Mittelalter zurückzusinken.
    Joe kaufte die französischen und amerikanischen Blätter, die ausführlicher – und, wie er vermutete, objektiver – über den spanischen Bürgerkrieg berichteten als die britischen Zeitungen. In ihnen wurde gemeldet, daß Hitler und Mussolini den spanischen Generälen Flugzeuge zur Verfügung gestellt hatten, um die faschistenfreundlichen Nationalisten zu unterstützen. Diese Flugzeuge beförderten nicht nur Soldaten von Marokko nach Spanien, sondern bombardierten Städte und Dörfer im Süden Spaniens. Kleine Gruppen Freiwilliger, von denen viele innerhalb der letzten Jahre vor den faschistischen Regimen in Europa geflohen waren, machten sich auf, die spanische Grenze zu überschreiten, um auf seiten der Republikaner in den Kampf einzugreifen. Eine Chance für den einzelnen, sich zu wehren, seine Selbstachtung wiederzugewinnen, den Faschismus zu besiegen, ehe er alles verschlang.
    Spanien war die »gute Sache«, auf die sie alle gewartet hatten. Bald gab es nirgends mehr, sei es beim Essen, im Pub oder bei politischen Versammlungen, ein anderes Gesprächsthema. Wenn Spanien den Faschisten in die Hände fiel, argumentierte man, dann würde früher oder später auch Europa samt Großbritannien fallen. Mosleys Schwarzhemden würden dann keine kleine extremistische Splittergruppe mehr sein, sondern die Vorboten kommender Greuel. Die Schlachten, die in Deutschland, Abessinien, in Italien und im Rheinland verloren worden waren, mußten in Spanien gewonnen werden. Während sie die Situation beobachteten und hofften, daß es diesmal anders sein würde, daß diesmal die Demokratien dem Faschismus entschlossen entgegentreten würden, zauderten die Großmächte.
    Joe und Robin gingen auf ein Fest in Whitechapel und tranken Bier mit Malern, Bildhauern und ihren Modellen.
    »Großbritannien wird Franco gegenüber die gleiche Beschwichtigungspolitik betreiben wie Hitler gegenüber«, meinte ein Maler und kippte eine ganze Flasche Bier in einem Zug hinunter. »Beschwichtigung?« sagte jemand mit bitterer Ironie. »Baldwin vergöttert die spanischen Generäle. Die britische Regierung würde doch nur zu gern die Gewerkschaften verbieten und alle ihre Führer ins Gefängnis werfen.«
    Die Wände des Ateliers

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