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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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regeln kann.«
    All ihre vernünftige Einsicht verließ sie plötzlich. Sie wollte nur noch laut ihren Schmerz herausschreien und ihn zurückhalten, festhalten, damit er sie nicht verlassen konnte. Schnell wandte sie sich ab. Er sollte ihr Gesicht nicht sehen. Er sollte nicht sehen, wie sehr sie litt.
    Sie gingen die Treppe hinauf.
    »Ich habe am Donnerstag frei«, bemerkte Joe. »Da kann ich in die King Street gehen und mich nach den Formalitäten erkundigen. Na, wenigstens hat sich diese verdammte Offiziersausbildung in der Schule vielleicht doch gelohnt.«
    Joe hatte das Gefühl, daß die vielen Mosaiksteinchen seines Lebens sich endlich zusammengefügt hatten und einen Sinn ergaben. Immer hatte er nach einer Sache gesucht, für die es sich zu kämpfen lohnte; in Spanien hatte er sie gefunden. Und er hatte Robin gefunden; oft, wenn sie an seiner Seite ging und er sie betrachtete, wollte er seinem Glück nicht glauben. Mehr wollte er nicht vom Leben. Im Atelier verwirrte er die schüchternen Debütantinnen, deren Porträts er aufnahm, mit seinem strahlenden Lächeln und ging Oscar mit seinen Gesängen in der Dunkelkammer auf die Nerven. Wenn er mit Robin zusammen war, konnten nur der Gedanke an die bevorstehende Trennung von ihr und der Schatten Francis', den er manchmal immer noch zwischen ihnen sah, sein Glück ein wenig trüben.
    Als er die kommunistische Parteizentrale in der King Street, nicht weit von Covent Garden, aufsuchte, warteten schon einige Männer mit Schirmmützen und im Sonntagsstaat – Arbeitslose – wie Joe begierig darauf, etwas zu ändern.
    Später erinnerte er sich nur weniger Fragen, die sie ihm gestellt hatten. Sie hatten sich nach seinem Alter, seinem Gesundheitszustand (eine ärztliche Untersuchung gab es nicht) und nach seinen politischen Verbindungen erkundigt. Jemand hatte geblafft: »Warum wollen Sie überhaupt nach Spanien?«, und er hatte einfach geantwortet: »Um gegen die Faschisten zu kämpfen« und hatte zu seiner Erleichterung gemerkt, daß er richtig geantwortet hatte. Man gab ihm eine Frist von vierundzwanzig Stunden, um seine Angelegenheiten zu regeln, und forderte ihn auf, am folgenden Morgen wieder in die King Street zu kommen.
    Auf dem Heimweg besorgte er ein paar Dinge für die Reise – Seife, eine neue Zahnbürste, ein Paar Handschuhe. Er wollte Robin gern ein Geschenk machen, aber es fiel ihm nichts ein. Er blickte in die Schaufenster von Schmuckgeschäften, betrachtete die Reihen von Armbändern, Ohrringen und Halsketten und wußte nicht, was er kaufen sollte. Robin trug nur sehr selten Schmuck. Sein Blick blieb an einer Auslage mit Ringen hängen: Perlen, Granate und andere Halbedelsteine in altmodischen, kunstvoll gearbeiteten Fassungen. Er öffnete die Tür des Ladens und ging hinein.
    Als er zu Hause ankam, wartete vor dem Haus eine Frau – klein und rundlich, in eine mittelalterlich wirkende Tracht in Grau und Schwarz vermummt. Eine Nonne. Joe mußte unwillkürlich lächeln. Sie paßte sogar nicht hierher.
    Er nickte einen kurzen Gruß im Vorübergehen, ohne sie näher anzusehen. Da sagte sie plötzlich: »Joseph?«, und seine Hand, die gerade nach dem Türknauf greifen wollte, blieb in der Luft hängen: Sehr langsam drehte er sich um.
    Er konnte ihr Haar nicht sehen, weil es unter ihrer Haube verborgen war, aber er wußte, daß es einmal schwarz gewesen war. Ihre Augen waren so schwarzbraun wie seine eigenen. Wie die seiner Mutter gewesen waren. »Claire?« sagte er unsicher. »Tante Claire?« Sie lachte, schlang ihre Arme um ihn und drückte ihn an sich.
    Er ging mit ihr in die Wohnung hinauf. Sie setzte sich auf die alte durchgesessene Couch, und er hockte sich auf die Armlehne. »Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, daß ich einfach hergekommen bin, Joe. Ich weiß, ich hätte vorher schreiben sollen, aber ich habe mich so sehr gefreut, von dir zu hören. Und außerdem wurde mir die Zeit knapp.«
    »Übelnehmen?« sagte er. »Aber wie sollte ich denn? Ich suche dich seit Jahren.«
    »Du hast in deinem Brief geschrieben, daß du in Paris und in München warst, chéri. Ich bin nach Pauls Tod aus München weggegangen. Und ich wollte nicht zu Marie-Ange zurück – wir haben uns nie verstanden.«
    Joe erinnerte sich der strengen Frau, die ihm von Claires Heirat berichtet hatte. »Nein, das kann ich mir vorstellen.«
    Er machte Feuer und kochte Tee, während sie ihm erzählte, was sich in den Jahren, seit sie sich zum letztenmal gesehen hatten, ereignet

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